Auf Møn sind die Nächte magisch.
In den nächsten Wochen wird das besonders spürbar sein. In den lauen Mainächten schlägt die Nachtigall, der Raps leuchtet kreidig-gelb unter dem Mond, und wer auf die Hügel von Høvblege steigt, sieht die Sonne hinter der Brücke versinken, die Møn und Seeland verbindet. Eine traumhafte Zeit, man möchte überhaupt nicht schlafen gehen.
Manchmal werde ich aber den Winter vermissen. Denn dann wölbt sich die Milchstraße am tiefschwarzen Himmel. Sterne glitzern in einem gigantischen Band, das aus dem Meer auftaucht und hinter den Bäumen verschwindet. Oft kann ich mich kaum losreißen, wenn ich in einer frostigen Nacht mein Auto auf unserem Parkplatz am Ostrand der Insel abstelle. Staunend gehe ich in den Innenhof, über dem Strohdach des alten Bauernhauses thront der Große Wagen. Sternbilder ziehen über mich hinweg, deren Namen ich nicht weiß.
Wahrheit oder Illusion? Ich denke daran, dass wir in die Vergangenheit des Weltalls sehen, denn das Licht der Sterne ist Jahrmillionen zu uns unterwegs. Scheinbar kleine Nebel am Nachthimmel bestehen aus gigantischen Sonnen, die Lichtjahre voneinander entfernt sind. Ich schaudere, und nicht nur vor Kälte. Raum und Zeit wirbeln vor meinen Augen. Plötzlich wirken meine warmen Zimmer unwirklich, der Nachthimmel weist auf Dinge hin, die viel größer ist als unser kurzes Leben.
Fünftausend Sterne sieht man auf Møn mit dem bloßen Auge, sagen Experten.
In Kopenhagen, keine 80 km Luftlinie entfernt, sieht man etwa hundert Sterne. Hübsch, aber längst nicht so erhebend für Träumerinnen wie mich. Für Astronomen uninteressant.
Im März 2017 bekamen Møn und seine kleine Nachbarin Nyord offiziell „Gold“ für ihre Dunkelheit. Die International Dark-Sky Association verlieh den Inseln eine doppelte Auszeichnung: International Dark Sky Park (in Gold) und International Dark Sky Community. Hier die Pressemitteilung meiner Gemeinde zur Dark-Sky-Zertifizierung (auf Englisch). Weltweit gab es zu diesem Zeitpunkt nur 44 Dark Sky Parks, davon 9 in Europa. (In Deutschland übliche Bezeichnungen sind z. B. Sternenpark oder auch „Lichtschutzgebiet“.)
In einem solchen Sternenpark herrschen besonders gute Bedingungen, um den Nachthimmel zu genießen. Und zwar nicht von selbst, denn wie das Beispiel Kopenhagen zeigt, verschwinden die meisten Sterne schnell hinter der ständigen Beleuchtung, die eine Stadt absondert. Lichtverschmutzung nennen das die Experten der IDA, und wie ich in den letzten Jahren gelernt habe, beeinträchtigt die nicht nur die Sichtbarkeit der Sterne, sondern auch unseren Schlaf sowie die Orientierung und den Lebensrhythmus vieler Tiere. Um die Dunkelheit zu schützen und Dänemarks erste Dark-Sky-Auszeichnung zu holen, hat eine Gruppe Engagierter hier vor Ort jahrelang Aufklärungsarbeit geleistet. Unter anderem wurden Lampen, die unnötig in alle Richtungen strahlten, gegen solche ausgetauscht, die nur den Boden beleuchten. Es gab Vorträge, Filme und sogar ein Pink-Floyd-Revival-Konzert am Hafenbecken von Klintholm Havn („Dark Side of Møn“). Heute sind auch schon Touristen hier aufgetaucht, die extra wegen dieser Auszeichnung anreisten, um die Sterne zu studieren.
Sie werden spät draußen sitzen müssen, denn jetzt, am Vorabend des 1. Mai, ist es erst nach 22 Uhr richtig dunkel. Und wenn ich morgens die Augen öffne, zwitschern die Vögel schon lange der Sonne zu. Nächste Woche beginnen hier die Weißen Nächte. Ich dachte früher, so etwas gibt es nur Richtung Polarkreis, und so extrem wie dort oben ist es in unseren Breiten natürlich nicht. Aber tatsächlich wird auch in Dänemark der Himmel von Mitte Mai bis Anfang August nie richtig dunkel. Die Sonne wandert nachts knapp unter dem Horizont entlang, und so sieht man Richtung Norden immer einen Schimmer am Nachthimmel. Heute war er um 21.45 gut zu sehen, hier ein Foto aus meinem Küchenfenster Richtung Nordwesten und daneben noch ein Foto vom 13. Juni letzten Jahres, Abendlicht um 23.15 Uhr:
Kommt es euch doch einmal ansehen: Weiße Nächte von Mitte Mai bis Anfang August, sternenübersäte Dunkelheit in den anderen Monaten. Oder nutzt die ersten lauen Nächte, um bei euch zu Hause den Sternenhimmel zu bestaunen.
Einen magischen 1. Mai wünsche ich euch allen!
P. S. Wer Dänisch versteht, erfährt hier mehr über den Sternenhimmel und den Dark-Sky-Zertifizierungsprozess auf Møn und Nyord: darksky-moen.dk
Ein dänischer Blog über den Sternenhimmel auf Møn und Nyord, geschrieben von Tom Axelsen, Vorsitzender des Astronomischen Vereins Sydsjælland und Initiator der Dark-Sky-Zertifizierung: http://grib-stjernerne.dk
Ach ja, Carmen, das ist so wunderschön bei Euch. Und dazu dann noch die Stille… Ich habe sofort Eichendorfs Mondnacht im Ohr.
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