Wenn Erzähler plötzlich zaubern: National Novel Writing Month 2017

Diesen November war wieder „National Novel Writing Month“. 30 Tage lang habe ich in die Tasten gehauen, genau wie viele Tausend Autoren in der ganzen Welt. Gut 50.000 Wörter ist mein Roman jetzt lang – rund 180 Buchseiten.

Im 19. Jahr seines Bestehens rechnete das „NaNo“-Team mit 400.000 Teilnehmern: Auszug aus der Pressemitteilung vom September 2017

Die Aktion findet jedes Jahr im November statt, für mich ist es die dritte Teilnahme. Gleich beim ersten Mal erreichte ich das Ziel ebenfalls, mit einer früheren Version des gleichen Romans. Doch ich war die ganze Zeit gestresst und hinterher mit dem Text so unzufrieden, dass ich ihn lange nicht mehr anrührte (hier mein Bericht zum NaNo 2015). Letztes Jahr schrieb ich bewusst langsam an einem Kinderbuch und schaffte daher „nur“ 33.000 Wörter; sie klingen zwar schöner, liegen aber ebenfalls in der Schublade (hier meine Überlegungen zum NaNo 2016).

Dieses Jahr stand der NaNo unter dem Motto „Superpowered Noveling“  – und tatsächlich fühlte ich mich das erste Mal so, als hätte ich die Sache um Längen besser im Griff:

Ich „gewann“ den NaNo schon gestern, also mit einem Tag Vorsprung, trotz einer recht „unproduktiven“ Reisewoche in der Mitte. Heute habe ich auf gut 52.000 Wörter erhöht 🙂

Ich bin diesmal nicht ausgepowert, sondern zuversichtlich, dass ich das Schreiben auch in den Dezember und, wenn nötig, in den Januar hinein fortführen kann, jeden Tag rund 2000 Wörter, bis ich die Geschichte zu Ende gebracht habe. Und dann geht es mit neuer Energie ans Überarbeiten!

Ich bin mit dem Geschriebenen wirklich glücklich. Nicht weil es perfekt wäre, das ist es nicht. Aber: Ich weiß endlich, was ich tue. Meine Figuren machen mit. Die Handlungsstränge laufen organisch ineinander. Und die Roman-Ereignisse spitzen sich zu.

„Superpowered Noveling“ eben! Wer wie ich jahrelang an seinem Buchprojekt herumgekrebst hat und nie wusste, woran es kränkelt, kann diese Erleichterung vielleicht nachvollziehen.

Motivierende Medaillen: Beim National Novel Writing Month gibt es auch zwischendurch viel zu gewinnen.

Woher kamen diese „Creative Superpowers“ so plötzlich? Für mich war es die günstige Kombination aus drei Faktoren:

1. Ich folgte einer Struktur, die funktioniert.

  • Drei Akte: Exposition, Eskalation, Resolution. Darin verteilt  Meilensteine wie Plotpoints und Pinchpoints, gewürzt mit dramatischen Fragen, Krisen und Höhepunkten.
  • Drei Hauptfiguren, aus deren Perspektive ich schreibe, darunter eine Haupt-Hauptfigur, die rund die Hälfte der Szenen bekommt.

Diese Struktur verdanke ich diversen Schreibratgebern, vor allem zwei Werken von Stephan Waldscheidt: Schreibcamp: Die 28-Tage-Fitness für Ihren Roman und Plot & Struktur: Dramaturgie, Szenen, dichteres Erzählen. (Klingt wie Werbung, soll es auch gerne sein; aber ich habe die Bücher selbst gekauft und meine Empfehlung mit niemandem abgesprochen 🙂 ).

Aus dieser Struktur leitete ich meine Szenen ab, und auf die konzentrierte ich mich dann Schritt für Schritt, Tag für Tag, meist vormittags zwei bis drei Stunden lang.
Nach etwa zwei Wochen musste ich etwas mehr Zeit investieren, um den 2. Akt feinzuplotten, hier kam das erste Mal sowas wie Stress und Unsicherheit auf, aber es war ein super Gefühl, als das auch stand. Der 3. Akt ist mir sowieso ziemlich klar – auf dieses Ende zielt das Buch schon immer ab. Darauf freue ich mich besonders, aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg!

2. Ich achtete darauf, dass es mir gutging.

So ein Roman ist ein Marathon, kein Sprint. Zu meinem Glück (oder Pech) hatte ich diesen Monat wenig bezahlte Arbeit. So konnte ich das Schreiben als Arbeit ansehen, hatte danach frei und dachte nicht mehr an mein Buch (außer an den unglücklichen Tagen, wo ich noch nachplotten musste). Also hieß es auftanken! Ich kochte mir anständiges Essen, nahm mir Zeit für Spaziergänge und Treffen mit Freunden. In der Mitte des Monats machte ich sogar eine Kurzreise nach Hamburg. Es war schön, aber das Schreiben fehlte mir sofort! So kam es, dass ich immer wieder neu Energie zum Schreiben hatte, die innere Kerze nie abbrannte, aber ich trotzdem laufend wusste, woran ich gerade war. Es floss einfach. Superpowers 🙂

3. Ich glaubte weiter an den Zauber des Erzählens.

Im Lauf dieses Jahres habe ich mir vergegenwärtigt, was ich eigentlich mit diesem Buch aussagen will. Wie die Geschichte von dem Scherbenhaufen, die ich letzten Monat erzählt habe. Wie die ganze Geschichte, warum ich nach Møn kam, um zu schreiben. Und ich dachte an die Vision, die ich bei einem Waldspaziergang Anfang dieses Jahres hatte. Ich war mit der inneren Frage aufgebrochen: Wie soll ich dieses Jahr gestalten, damit es gelingt? Drei Antworten bekam ich: 1. Folge den vorgegebenen Strukturen. 2. Achte darauf, dass es dir gutgeht. 3. Glaube weiter an den Zauber.

Das habe ich getan, und es hat geklappt 🙂

Wie geht es euch mit euren Schreibprojekten oder anderen großen Vorhaben? Was ist euer Erfolgsrezept?

Liebe Grüße von der Insel, Carmen Wedeland

Fünf Dinge, die ich von meinem Verlagsprojekt gelernt habe

Im September erschien mein erstes Buch, das ich in Dänemark geschrieben habe. Es war auch mein erstes Werk in einem neuen Genre: Lifestyle und Handarbeiten. „Handmade Hygge“, wie der (deutsche) Verlag es taufte 🙂

Ich freue mich über das schöne Ergebnis, aber auch über das, was ich bei diesem Projekt (mal wieder) gelernt habe. Vor allem, dass ich in drei Monaten ein Manuskript fertigstellen kann. Na gut, ein Teil-Manuskript, denn die Hälfte des Buches besteht aus Handarbeitsanleitungen von anderen Autorinnen 😉

Morgen, am 1. November, beginnt der National Novel Writing Month, bei dem Hunderttausende Autoren weltweit versuchen, so schnell wie möglich ihr Buch zu schreiben. Ob ich die folgenden Erkenntnisse auf meinen Roman übertragen kann?

1. Ein knappes Konzept tut es auch.

Sieben Powerpoint-Folien der Produktmanagerin, hauptsächlich mit Bildern bestückt. Ein 40-minütiges Telefonat, ein paar E-Mails mit Zusammenfassungen. Danach sollte ich selbst meine Kapitel in Stichpunkten skizzieren. Das Konzept wurde abgesegnet – und los ging’s.

2. Selbst in kurzer Zeit schafft man viel Buch.

Siehe oben. Am 20. März kam die Anfrage des Verlags, am 16. Juni schickte ich den letzten Text ab. Dazwischen: Brainstorming, Absprachen, Recherche, Schreiben, Feedback, Überarbeiten! Danach hat der Verlag noch layoutet, Ende Juli der Korrekturdurchgang und dann ging das Buch in den Druck.

Dass eine Deadline Wunder wirkt, wusste ich schon immer. Aber der Druck (in beiden Bedeutungen) ist präsenter, wenn das Buch schon auf Amazon angekündigt ist, während man noch an den Texten tüftelt!

Freiwillig hätte ich ja nie im Frühsommer an einem Buch gearbeitet. Saisonjobs, bezahlte Schreibaufträge, ein kleiner Umzug und Besuch mit Ausflugsprogramm … war alles kein Hindernis, wie ich nun merkte. Zeitig aufstehen, ran an den Schreibtisch! (Der in den letzten Schreibwochen auch nicht großzügiger bemessener war als das Zeitfenster, da ich im Sommer auf 9 qm wohne.)

3. Bücherschreiben ist nicht billig.

Mit „Handmade Hygge“ hatte ich wirklich Glück. Das Thema war super … hyggelig 🙂 Die Recherche hat Spaß gemacht. Ich konnte gemütlich auf dem Sofa schreiben, wenn mir danach war. Der Kontakt zum Verlag war angenehm und das Buch ist wirklich schön geworden.

Aber: Die Freude war nicht umsonst zu haben. So ein Buch kostet Zeit. Zeit, die mir fehlte, um meine Freundschaften zu pflegen. Um rauszugehen und den Sommer zu genießen (zum Glück ist der dieses Jahr ausgefallen). Um andere Aufträge anzunehmen, die mehr Geld gebracht hätten. Nach ein paar Monaten merkt man  deutlich, was einem alles entgeht. Dann muss man sich klar sein, welche Prioritäten man hat. Diesmal war es das Buch – ich bereue es nicht und würde es wieder tun. Doch in anderen Lebenslagen können andere Dinge wichtiger sein.

4. Vom Bücherschreiben wird man nicht reich.

Das ist theoretisch bekannt. Aber als Fantasy-Autor lebt man ja in einer Traumwelt. Auch, was die Möglichkeiten für einen Millionenverdienst angeht. Doch die Realität sieht anders aus. Und sie lässt sich ziemlich genau berechnen.

In meinem ersten festen Job (damals in einer deutschen Großstadt) mussten wir Angestellten Stundenlisten führen. „Time & Money Tracking“ hieß das Programm, mit dem die Geschäftsleitung den Überblick behielt, was welche Projekte nach Abzug des Aufwandes einbrachten. Als freiberufliche Texterin habe ich diese Gewohnheit beibehalten. Dank meiner schlichten, aber stetig geführten Tabellenkalkulation kann ich je nach Auftrag Stunden abrechnen oder Pauschalpreise anbieten, die nicht aus der Luft gegriffen sind.

Auch beim Hygge-Buch habe ich Listen geführt. 101,5 Stunden Arbeit standen am Ende darin. Für Briefing und Recherchen, Bildersuche, Text und Korrektur; ohne  Werbemaßnahmen seit Erscheinen des Buches. Die erste Auflage beträgt 5000 Stück. Wenn die ganz weggeht, bekomme ich gut 1000 Euro dafür. Macht zehn Euro brutto die Stunde – hier in Dänemark kann man doppelt so viel mit Putzen verdienen. Diese Erkenntnis war doch ernüchternd.

Ab der zweiten Auflage wird es zwar interessanter und die VG Wort dürfte auch noch  Tantiemen abwerfen. Das heißt, mit konstanter Fleißarbeit für etablierte Verlage kann man vielleicht von solchen Büchern leben. Aber steinreich? Das wird man besser auf anderen Wegen.

5. Der Verlag bestimmt.

Nicht die Autorin, sondern die „Produktmanagerin“ steuert das Buch. So heißen die Redakteurinnen/Lektorinnen heute in vielen Verlagen. Und der Verlag bestimmt, welche Bücher er veröffentlicht. Er bestimmt die Bedingungen, besonders bei Neuautoren. Er bestimmt auch den Umfang, die Aufmachung, das Cover. Den Titel … und im Zweifelsfall den Text.

Gerade an diesem Punkt haben viele Autoren Probleme. Wer will schon seine mühsam gewählten Worte im Lektorat umschreiben lassen? Zum Glück wurde mein Text bei diesem Buch so gut wie nicht verändert (das habe ich bei anderen Projekten aber auch schon anders gehabt). Doch diese Abläufe müssen einem einfach klar sein, sonst sollte man sein Buch selbst veröffentlichen. Eitelkeit ist als Verlagsautor fehl am Platz.

Das hat aber auch einen klaren Vorteil. Denn der Verlag weiß (in der Regel), was die Leser wollen. Und er kann es dem Buchhandel schmackhaft machen. Wenn es ein großer Verlag ist. Wie in diesem Fall der frechverlag, dessen Kreativbücher wirklich einen breiten Markt abdecken. Er hat das Konzept nach wirtschaftlichen Kriterien erstellt, die Werbung an die Zielgruppe angepasst. Und er verkauft das Buch. Viel besser, als ich es mit meinem kleinen Wirkungskreis könnte.

6. Seien wir ehrlich: Niemand liest Texte.

Das Cover meines Buches kommt gut an. Auch für die Bilder wurde ich gelobt. Für die schöne Gestaltung, die gezeigten Handarbeitsprojekte. Nichts davon ist mein Verdienst. Zum Text hat bisher – außer der Produktmanagerin und der externen Lektorin – kaum jemand Rückmeldung gegeben 😉

Liegt es daran, dass keiner Texte liest? Generell hege ich diesen Verdacht schon lange – seit ich eine Mitarbeiterzeitschrift als Redakteurin verantwortet habe. Am wichtigsten sind die Bilder, dann die Bildunterschriften und das Fettgedruckte. All die kleinen Buchstaben sind Graufläche, wie die Grafikerin damals sagte.

Egal, auch hier ist Eitelkeit fehl am Platz. Ich habe geschrieben, so gut ich konnte, jetzt ist das nächste Projekt an der Reihe: mein Fantasy-Roman. Einen Verlag habe ich noch nicht, aber ein Konzept und eine Deadline – den 30. November, wo 50.000 Wörter in der Datei stehen sollten, das ist das Ziel des National Novel Writing Month. Mal sehen, ob die Erfahrungen aus meinem Verlagsprojekt mir dabei helfen.

Frohes Schaffen an alle, die in den nächsten Wochen kreative Projekte verfolgen!

Liebe Grüße von der Insel, Carmen Wedeland

P. S. Wer von euch hat diesen Blogtext gelesen, den Fehler gefunden – und gibt mir dazu auch noch Rückmeldung? 🙂

NaNoWriMo: Auf ein Neues!

Der November rückt näher.
Lange Nächte, Nieselwetter, Netflix.

Netflix? Nein. Für mich, und viele, heißt November:
Lange Nächte, Nieselwetter, NaNoWriMo.

NaNoWasBitte?

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Der National Novel Writing Month, ein jährliches Event, bei dem Tausende Schreibende rund um den Erdball versuchen, jeder ein Romanprojekt von 0 auf 50.000 Wörtern zu hieven. Auf der Website nanowrimo.org kann man sich anmelden und wird süchtig danach, sich die Fleißsternchen für erreichte Zwischenziele abzuholen in einer starken Gemeinschaft angefeuert, sein Ziel zu erreichen.

Auch ich will wieder nach den Sternen greifen.
Unbekannte Welten warten!

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Letztes Jahr habe ich zum ersten Mal teilgenommen und gleich eine Punktlandung hingelegt (mehr dazu im Beitrag „30 Tage für meinen Roman“). Trotzdem schlage ich diesmal einen anderen Kurs ein:

  1. Geschwindigkeit drosseln. Lieber Klasse statt Masse, auch beim ersten Entwurf. Denn meine letztes Jahr hingeworfenen Texte sind so mäßig, dass ich anschließend lange keine Lust hatte, an dem Buch weiterzuarbeiten. Neuer Kurs also: Kein Stress, falls ich für die täglichen 1667 Wörter  dreimal so lange brauche. Die Zeit spare ich hinterher beim Überarbeiten.
  2. Ohne Navi unterwegs sein. Diesmal schreibe ich ohne Handlungsplan. Eigentlich bin ich ja die gründlichste Plotterin des Planeten – sieht man am Drei-Meter-Handlungsplan für meinen Fantasyroman. Genau den überarbeite ich nun zum x-ten Mal, denn der letzte NaNo hat mir gezeigt, dass ich meine Hauptfiguren nochmal umcasten und einige Handlungsstränge straffen muss. Da ich das bis nächste Woche nicht fertig habe, wechsle ich diesmal von den Plottern zu den Pantsern, die ihre Geschichte beim Schreiben spontan entwickeln.
  3. Aus diesem Grund schreibe ich nicht an meinem angefangenen Roman  weiter, obwohl der zurzeit sehr stark in mir arbeitet. Sondern ich setze endlich das Kinderbuch fort, dessen erste Kapitel 2015 spontan entstanden, während ich die Streifzüge unserer Katze im Land der Elfen  beobachtete. Meine Nichten und Neffen haben neulich gefragt, ob ich die Geschichte endlich fertig habe!
  4. Ich will nicht wegen des NaNo noch mehr vor dem Computer sitzen als eh schon. Wenn mich die Arbeit dazu zwingt, heißt das ansonsten: Facebook-Rationierung, kein zielloses Surfen, Zeitung nur noch auf Papier und striktes PC-Runterfahren in allen Pausen. Wenn das und Punkt 1 bedeuten, dass ich am 30.11. keine 50.000 Wörter habe, schreibe ich halt bis Weihnachten weiter. Dann besuche ich nämlich besagte Nichten und Neffen und kann sie gleich als Testpublikum nutzen 😉
  5. Ich will nach dem NaNo nicht wieder in ein schwarzes Loch fallen, wenn all der Druck plötzlich weg ist. Daher: weiter Freundschaften pflegen, Dinge unternehmen und speziell für Anfang Dezember etwas Nettes planen. Und natürlich: weiterschreiben …

Guten Start an alle Mit-NaNonauten!
Vielleicht begegnen wir uns da draußen im virtuellen Schreibraum?

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Update, 30.11.16: Diesen NaNo habe ich mit 33.000 ausgesucht schönen Wörtern beendet.
Update 2, 30.11.17: Den folgenden NaNo konnte ich mit 52.000 Wörtern spannungsreicher Handlung beenden, hier ein Bericht dazu 🙂

Ideen-Invasion

In den letzten Wochen habe ich zwei seltsame Storys geschrieben. Beide mit insektenartigen Aliens im Mittelpunkt. Die volle Montur mit Mundwerkzeugen, Fassettenaugen, Fangarmen und zu vielen Beinen. Beide Geschichten waren für Ausschreibungen. Die eine hatte das Thema „Mütter“, die andere „Phantastische Sportler“.

Insektenartige Aliens, bei den Vorgaben? Ich weiß auch nicht, wo diese Ideen herkommen.

Ich habe noch mehr solche Kurzgeschichten in der Pipeline. Ein Dutzend wimmelt nur so von Schaben, Spinnen und Schmetterlingen. Eine Handvoll beherbergt gruselige Gewächse. Und dann gibt es noch abseitige spirituelle Themen, Klamauk und Spielereien.

Woher kommen die Ideen?

Bei manchen habe ich wirklich keine Ahnung. Ich schwör’s, das Zeug stammt nicht von mir. Es ist, als würde mein Klon die Regie übernehmen und nachts ohne mein Zutun in die Tasten hauen. Kein Wunder, dass tatsächlich die meisten meiner Texte rund um Mitternacht entstehen, wenn mein echtes Ich schon den Schlaf der Gerechten schläft. Carmen Wedeland ist schließlich ein Pseudonym, das sich eine vernunftgesteuerte Person zugelegt hat, die in Wirklichkeit Spinnenweben von den Wänden saugt und den Innenhof von Unkraut befreit.

Eine nicht zu leugnende Inspirationsquelle ist der „BLV Naturführer Insekten“ von 1978, den ich als Kind geschenkt bekam und ausführlich studierte. Am liebsten waren mir die Schmetterlingsfotos, aber irgendwann stößt man zwangsläufig auf den Eintrag zur Fortpflanzung der Grabwespen. Das hat meinen Glauben an einen gütigen Gott nicht unerheblich erschüttert. (Googelt es selber, wenn ihr schlecht schlafen wollt.)

Wahrscheinlich wurde ich damals infiziert, die Ideen reiften gut 30 Jahre in mir heran, und nun müssen sie alle auf einmal schlüpfen.

Dabei wollte ich ja eigentlich einen Roman schreiben, der auf einer Kreidefelsen-Insel spielt. Meeresmythen, Glaskunst … Grotten. Ihr ahnt es vielleicht: Die Insel ist schon längst überrannt – in diesem Fall von Krebsen, einer handlichen Variante der Gliederfüßer, verwandt mit den Spinnen. Skurril, schön und schauderhaft.

Ähnlich wie meine Hauptfiguren entwickeln auch meine Handlungsstränge regelmäßig ein Eigenleben. Und nachdem mir 30 Jahre lang ums Verrecken keine Idee kam, worüber ich mal eine schöne Fantasy-Geschichte schreiben könnte, sprudeln die Ideen jetzt in den unpassendsten Momenten. Ich habe es mir schon zur Angewohnheit gemacht, immer ein großes Notizbuch dabeizuhaben, um alles sofort aufzuschreiben.

Nicht dass ich all die Geistesblitze jemals verwerten könnte, aber wenigstens plagen sie mich etwas weniger, wenn sie vorläufig auf Papier gebannt sind. Bei Konzertbesuchen oder beim Küchendienst ist das halbwegs praktikabel. Unter der Dusche, wo die allermeisten Ideen zuschlagen, habe ich mein Notizbuch allerdings nicht dabei. Da muss ich die herumwuselnden Spinnen (also, in meinem Kopf!) aushalten, bis ich das Shampoo abgespült und den Schreibtisch erreicht habe.

Zum Glück bin ich mit diesem Problem nicht allein. Im National Novel Writing Month haben geplagte Autoren für die Ideen-Invasion einen schönen Begriff geprägt: das Plot Bunny. Also das „Handlungskarnickel“, das klingt auf Deutsch nur nicht so wendig, wie es in Wirklichkeit ist. Das Plot Bunny ist eine Geschichtenidee, die plötzlich aus einem Loch kriecht, in die du dich verliebst, die du fütterst und in dein Haus lässt – und schon hüpft es auf und ab, geht dir auf die Nerven, vermehrt sich unkontrolliert und übernimmt die Herrschaft über dein Leben. Ausführliche Beschreibungen vieler gefährlicher Unterarten gibt es hier im inoffiziellen NaNoWriMo-Wiki, und im November kann man die Viecher sogar in speziellen Verliesen Spieleparadiesen verwahren lassen, um sich endlich auf ein einziges Romanprojekt zu konzentrieren.

Heute Nacht habe ich vielleicht Ruhe, weil ich die Story mit den sportelnden Spinnentieren soeben abgeschlossen habe.

Aber wer weiß, was Carmen morgen Nacht wieder treibt? Zuletzt faselte sie etwas von abgeschnittenen Fingern und einem Friedhof im Frühling. Klingt nach einer Geschichte aus der Gruselige-Gewächse-Kategorie, aber es würde mich nicht wundern, wenn sich das eine oder andere Insekt einschliche.

In diesem Sinne: Es ist Mitternacht. Wovon träumt ihr so?

Update: Meine erste Kurzgeschichte erscheint am 18. März. Mehr dazu im folgenden Blogeintrag 🙂
Update 2: Dieses Jahr erscheinen mindestens vier meiner Kurzgeschichten. Mehr dazu im Beitrag Sportliche Erfolge.

30 Tage für meinen Roman

Ich habe gewonnen!

National Novel Writing Month Winner 2015

Ich habe die Herausforderung des National Novel Writing Month angenommen und diesen November 50.000 Roman-Wörter geschrieben. Das entspricht etwa 170 Buch-Normseiten.

Wow, Carmen hat in 30 Tagen einen Roman geschrieben?
Nuuuun … nein.
Ein richtiger Roman hat eher so 100.000 bis 150.000 Wörter, ein Fantasy-Epos gerne auch mehr. Mit 50.000 Wörtern hat man allenfalls ein Kinderbuch oder eine Novelle fertig.

In diesem Wettbewerb geht es darum, 30 Tage an seinem Roman zu schreiben. Nicht unbedingt, ihn abzuschließen – und vor allem nicht so, dass er druckreif wäre. Das ist für Normalsterbliche kaum möglich. Es geht darum, einen Entwurf von mindestens 50.000 Wörtern zu produzieren, und zwar so schnell wie möglich.

Den inneren Kritiker abschalten, nicht mehr grübeln, nicht mehr aufschieben, nicht weitere Details recherchieren und Plot-Alternativen prüfen. Optimiert wird später, wenn der erste Entwurf fertig ist, wenn man weiß, worauf alles hinausläuft, was funktionieren wird und wo noch Lücken gähnen. Jetzt hieß die Aufgabe: Sich einfach auf den Hosenboden setzen und schreiben! Im Durchschnitt 1.667 Wörter am Tag. Dafür brauchte ich am ersten Tag vier Stunden, in der letzten Woche teils nur 40 Minuten.

Was ist daran so schwer?
Im Nachhinein frage ich mich das auch. Ich hatte alle Voraussetzungen, um schnell weiterzukommen – eine detaillierte Fantasy-Welt, spannende Figuren, drei Meter Handlungsplan … Doch noch mehr hatte ich Ausreden: Alles nicht gut genug, keine Zeit wegen Sommerjob, keine Zeit wegen Besuch … irgendetwas fällt einem immer ein und schon ist wieder eine Woche herum und man hat vergessen, worum es in dem Buch eigentlich gehen sollte. Die große Romanverhinderungsstimme flüstert Tag und Nacht:

  • Lieber noch ein bisschen warten, bis ich wirklich die Zeit habe, mich ausgiebig in die Geschichte zu vertiefen.
  • Wenn ich erstmal schreibe, dann soll es auch wirklich gut werden, schließlich habe ich schon so lange daran herumgeplant, der nächste Schritt muss ein druckreifer Text sein.
  • Und sowieso wartet die Welt nicht auf dieses Buch und ich bin allein hier vor diesem Bildschirm und alles ist furchtbar, also lieber schnell auf Facebook oder raus und sich ablenken.

Der National Novel Writing Month hat all das geändert. Wenn man auf der Website einen Account anlegt, bekommt man jede Menge nützliche Tools, die genau diese Probleme angehen:

  • Ein unbarmherziges Balkendiagramm zeigt den täglichen Fortschritt und was passiert, wenn man nur einen oder zwei Tage sein Soll nicht erfüllt.
  • Wenn man aber wieder etwas geschafft hat, gibt es Belohnungen: dafür, dass man überhaupt anfängt; für die ersten 1667 Wörter; dann wieder für 5000, 10.000 …; wenn man zehn Tage am Stück geschrieben hat, wenn man an einem Schreibtreffen teilgenommen hat oder beim Schreiben zuviel Kaffee trinkt 🙂
  • Ermutigende E-Mails, „Pep Talks“ und der Austausch im Forum hämmern einem ein, dass man einfach drauflosschreiben soll, überarbeitet wird später. Am hilfreichsten fand ich die „Word Wars“ – Wettschreiben gegen die Zeit: Man verabredet mit anderen im Forum, dass man beispielsweise von 20 bis 20.30 Uhr schreiben wird, und postet anschließend, wie viele Wörter man geschafft hat. Es gibt nichts zu gewinnen und niemand schimpft, wenn man nicht in die Pötte kommt – aber dieses ganz einfache Mittel hat bei mir bewirkt, dass ich die 30 Minuten konzentriert sitzen blieb, nur auf mein Dokument sah und in die Tasten haute. Und im Schnitt ca. 1000 Wörter produzierte, an denen ich sonst vielleicht zwei Stunden herumgetüftelt hätte. Das Beste daran: In dieser halben Stunde übernahmen oft meine Figuren völlig die Regie. Meine Hauptfigur fand einen unterirdischen Gang, den ich selber noch nicht kannte und super spannend finde. Mein Antagonist hat mir mit der Weinflasche eins übergezogen und mir endgültig klargemacht, dass ich auch aus seiner Perspektive schreiben muss. Und und und. Manches davon muss ich am Ende vielleicht wieder streichen – aber ich glaube, dass ich allein durch das Ausschalten meines grübelnden Gehirns mehr Kreativität freisetzen konnte als sonst.
  • Für diese Wettschreiben ist eigentlich zu jeder Tages- und Nachtzeit jemand im Forum zu haben. Auch für jede Frage, jede Sorge und jede Anekdote, die man mit anderen Schreibern teilen möchte. Weltweit haben Hunderttausende Autoren am „NaNo“ teilgenommen, allein im kleinen Dänemark waren es über 2000. In finsteren Momenten, wo man am Sinn des Ganzen zweifelt, ist es schön zu wissen, dass andere ähnlich spinnerte Projekte verfolgen und vielleicht genau das Problem gerade bewältigt haben, vor dem man momentan steht.

Man könnte natürlich schummeln – seinen Fortschritt muss man selber eintragen und niemand prüft am Ende, ob die 50.000 Wörter wirklich dein eigener, selbst geschriebener, lesbarer Roman sind. Aber damit betrügt man ja nur sich selbst!

National Novel Writing Month Winner

Ich finde, ich habe wirklich gewonnen:

  • Nach mehreren Monaten voller kreativer Vermeidungsstrategien fiebere ich jetzt danach, das Ding zu Ende zu schreiben und die letzten Lücken zu füllen.
  • Ich habe erkannt, dass Schreiben schnell gehen kann und dass man dafür nicht unbedingt eine jahrelange Auszeit braucht. (Ganz nebenbei bemerkt, habe ich im November wieder angefangen, als freie Texterin zu arbeiten, und gleich einen größeren Auftrag gestemmt, so dass die meisten Romanworte erst abends ab neun entstanden!)

Nano 2015 Ein Drittel Plot geschafft

Also: Genug Pause gemacht – jetzt heißt es: Weiterschreiben! Denn trotz der 50.000 Wörter – und weiteren 20.000, die ich vor November schon hatte – bin ich grad mal im Mittelteil meines Drei-Meter-Handlungsplans angekommen …

Nano Now What Months

 

Und wenn die Geschichte zu Ende geschrieben ist?
Dann geht die Arbeit erst richtig los: Denn nach dem Schreiben ist vor dem Überarbeiten!

Vielleicht seid ihr 2016 auch dabei? Vor dem nächsten „NaNo“ im November gibt es im April und Juli jeweils ein „Camp NaNo„, wo man sich selbst einfachere Ziele setzen kann, z. B. ein paar Kurzgeschichten mit zusammen 10.000 Wörtern zu schreiben. Macht Spaß, bringt viel und kostet nix! Ich will es auf jeden Fall wieder probieren.

Update, 26.10.16: Der nächste NaNo naht und ich mache wieder mit.