Ich habe gefastet. Von Aschermittwoch bis Ostersonntag: Sieben Wochen ohne Facebook. Das war mein letzter Facebook-Eintrag am Faschingsdienstagabend:
Sieben Wochen Zeit. Zum Lesen, Schreiben, Spazierengehen. Um Freunde zu treffen oder zu telefonieren. Um öfter wegzukommen vom Computer. Darum versuche ich es jetzt mal: Sieben Wochen ohne Facebook. Von Aschermittwoch bis Ostersontag. Wer mich persönlich kennt – bitte haltet den Kontakt per Mail oder Telefon. Wer mich nicht wirklich kennt – wird mich vermutlich auch nicht vermissen. Euch allen eine gute Zeit.
Seit 2011 war ich auf Facebook unterwegs. 204 Freunde habe ich dort momentan. Und obwohl ich nur einen Bruchteil davon persönlich kenne, interessierten mich an jenem Abend doch die Reaktionen:
Facebook-Fasten, der Vorabend
Ich bleibe auf Facebook, auch als ich längst ins Bett will, nur um die Reaktionen zu beobachten.
Mehrere Likes in kurzer Zeit. Grüße und Ermunterungen diverser Bekannter. Eine sagt, sie könne Facebook genauso wenig entbehren wie Kaffee. Ich freue mich, dass ich vor Kurzem auch meinen Kaffeekonsum reduziert habe. Auch so eine Abhängigkeit.
Schreibe persönliche Nachrichten an einige Freundinnen, mit denen ich mich öfter über Facebook austausche und verabrede. Sie haben alle auch meine Mailadresse und Telefonnummer. Bitte um Verständnis, dass sie diese in Zukunft auch benutzen müssen, ich möchte ja gerne in Kontakt bleiben.
Endlich, ca. 23.30 Uhr: Ausloggen und Facebook-Lesezeichen im Browser löschen. Vom Tablet Facebook deinstallieren. Nicht dass ich morgen ganz automatisch wieder drin bin. Gehe ins Bett und fühle mich, als hätte ich einen langen Urlaub vor mir.

Ommmmm … Strand von Greve an einem frühen Freitagmorgen
Facebook-Fasten, Tag 1
Herrlich, wie viel Zeit ich ab jetzt haben werde.
Ist auch nötig, ich bin mit den Texten für einen Kunden hinterher. Heute werde ich stark aufholen.
Verbringe zuviel Zeit damit, alte Artikel in meinem eigenen Blog zu lesen.
Beantworte immerhin mehrere persönliche E-Mails gleich, statt sie monatelang im Posteingang schmoren zu lassen.
Lese im Freizeitmonitor 2016, einer Umfrage über die Freizeitaktivitäten im Jahresvergleich: Medien und Sport boomen – Zeit für Kontakte nimmt ab. Die meisten Deutschen wünschen sich mehr Begegnungen und Gespräche, verbringen aber die meiste Zeit vor Smartphone und Computer.

„Ihr interessiert mich schon, aber näher komm ich nicht!“
Ja, soziale Kontakte. Im letzten Jahr habe ich es (durch gezielte Bemühungen) geschafft, mir auf meiner Insel ein gutes kleines Netzwerk an Freundschaften aufzubauen. Leider habe ich sie alle in den letzten Wochen schon wieder vernachlässigt, aber das lag nun wirklich an den vielen Viren, die hier gerade grassieren. Jetzt muss ich meine Erkältungsisolation wenigstens zum Arbeiten nutzen.
Kaufe neue Musik im Internet. Hilft beim Arbeiten.
Eigentlich müsste ich auch Internetfasten machen. Wird aber schwieriger, denn das brauche ich zum Arbeiten.
16.00 Uhr: Endlich wirklich am Arbeiten. Mit guter Musik auf den Ohren.
Facebook-Fasten, Tag 2
Größten Teil des Tages unterwegs. Danach viel Zeit mit dem Lesen irgendwelcher Artikel im Internet verbracht. Aber immerhin, das fällt unter Wissenserweiterung (etwas fundierter als die üblichen Facebook-Memes).
Facebook-Fasten, Tag 3
Ganzen Tag kaum an Facebook gedacht. Nichts vermisst. Abends zum ersten Mal (wie schon lange geplant) um kurz nach zehn im Bett und tatsächlich noch über eine Stunde in einem guten Buch gelesen.
Facebook-Fasten, Tag 4
Schöner Offline-Tag. Vormittags genäht, nachmittags geputzt und eingekauft. Abends wieder drei persönliche E-Mails sorgfältig beantwortet. So richtig auf die altmodische Art, mit Anrede, Bezug auf die empfangene Nachricht, Bericht über mein Leben, Wünsche für den anderen, Grußformel, fast so schön wie ein handgeschriebener Brief. Zuwendung. Wenn ich nicht so müde wäre, könnte ich jetzt glatt anfangen, das Manuskript gegenzulesen, das eine Bekannte mir gemailt hat. Aber das Risiko, dann wieder im Internet abzudriften … hmmm …
Facebook-Fasten, nach sieben Wochen
Ab Tag 5 hörte ich auf, über meine Erlebnisse mit dem Facebook-Fasten Tagebuch zu führen. Es erschien mir ganz normal. Ich hatte anderes zu tun. Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass ich zuvor jeden Tag auf dieser Plattform war! Und dass in der Regel jedes Mal eine halbe Stunde damit herumging, auch wenn ich das gar nicht geplant hatte. Und dass ich in der Regel täglich mehrfach dort war. Obwohl ich es „nur“ am Laptop nutzte. Nicht auszudenken, wenn ich auch noch ständig am Smartphone hängen würde. Es waren ja so schon … wenn ich ehrlich bin … auf jeden Fall 300 Stunden im Jahr. Vielleicht sogar noch mehr. Deutlich mehr? Die Zeit könnte man nutzen, um ein ganzes Buch zu schreiben. Oder sieben Wochen Urlaub zu machen!
Freizeit auf Møn: Herumklettern auf dem neuen Kreidefelsen-Abbruch
Freizeit auf Møn: am Strand bei Rytsebæk
Habe ich durch den Facebook-Verzicht Zeit gewonnen?
Das will ich meinen – siehe oben! Ich habe nicht Buch darüber geführt. Aber ich habe in diesen sieben Wochen:
- mehrere gute Bücher durchgelesen
- das Manuskript einer Bekannten testgelesen und ausführlich kommentiert
- ein paar arbeitsaufwändige Nähprojekte fertiggestellt
- relativ viel gearbeitet (ergo, Geld verdient)
- trotzdem noch einigermaßen Zeit für Freunde gehabt
- und ein paar sehr schöne Wanderungen gemacht
Mein Kalender zeigt reichlich erledigte Termine und Aufgaben, mein Posteingang ist überschaubar. Komischerweise ist meine To-Do-Liste noch genauso lang wie im Februar. Man kann halt nicht pausenlos produktiv sein.
Was habe ich sonst noch gewonnen?
Zwei große Vorteile, mit denen ich nicht gerechnet hatte!
- Die Nackenschmerzen sind weg, die mich seit letztem Herbst geplagt hatten. Sie begannen im September, als ich von meinen Rezeptionsjobs (viel stehen, gehen und Sachen herumtragen) wieder an den Schreibtisch wechselte. Im Winter war es so schlimm, dass ich bei längeren Autofahrten wirklich litt. Der Arzt tippte auf Maus-Hand. Seit ich nicht mehr ständig scrolle und klicke, sind die Schmerzen weg. Und ich will sie auf keinen Fall wiederhaben.
- Ich schlafe um Längen besser! Das kann daran liegen, dass ich mir nicht mehr ständig das Gefühl antrainiere, ich könnte etwas verpassen. Dass ich weniger blaues Bildschirmlicht abbekomme. Aber auch daran, dass ich früher ins Bett gehe und lese, um vom Tag abzuschalten (für sowas habe ich ja jetzt Zeit). Oder es liegt daran, dass ich abends weniger esse. Egal, ich freue mich sehr darüber, denn jede suboptimale Nacht führt zu einem suboptimalen Tag.
Was habe ich ohne Facebook vermisst?
Da war tatsächlich einiges:
- Das Gefühl, einfach mal Zeit zu verschwenden. Ich habe (wieder mal) gemerkt: Ich kann nicht immer produktiv sein, ich kann mich nicht mal immer „gezielt erholen“, ich WILL auch mal Zeit verplempern, sonst fühlt sich der Tag so vollgestopft an. Ich mache das jetzt ein bisschen auf anderen Wegen, meist lande ich bei irgendwelchen Nähvideos oder Stoff-Webshops – zum Glück ohne ständig dabei was zu kaufen 😉
- Die Möglichkeit, schnell etwas nachzufragen. In der Møn-Gruppe: wie lange man wohl an einem Freitagmorgen Richtung Kopenhagen braucht. In der Nähgruppe: eine Umfrage für einen Text, an dem ich gerade schreibe.
Die Updates aus einigen Schreibgruppen über Literaturausschreibungen, den Austausch über Buchprojekte, die gegenseitige Ermutigung von Autoren.
- Die Möglichkeit, etwas über Leute zu erfahren, die mir begegnen, oder nachzusehen, wie es Bekannten geht. (Wobei das Gepostete ja nur ein Ausschnitt ist – ein persönliches Gespräch ist besser.)
- Die Möglichkeit, meinen Blog bekannter zu machen. Früher habe ich jeden Blogeintrag auf Facebook beworben. Seit ich das nicht mehr tue, habe ich deutlich weniger Leser und weniger Austausch, denn die meisten scheinen lieber auf Facebook zu kommentieren als auf meinem Blog selbst. Vermutlich, weil auch hier Facebook niedrigschwelliger ist.
- Die Möglichkeit, meine Lieblingsbilder von Møn in Facebook-Alben zu teilen. Ich hatte ja nun wieder Zeit für Spaziergänge und Hunderte Fotos von Kreidefelsen, Stränden und Städten gemacht. Die kann ich doch nicht alle in diesen Blog quetschen?
- Und, last but not least: Das informelle Beisammensein, das Gefühl, man ist nicht allein. Auf Facebook ist immer irgendwer für lustige Kommentare oder einen kurzen Chat greifbar. „Soziale Medien“. Niedrigschwellige Geselligkeit. Aber genau die führt, glaube ich, dazu, dass viele abends am Bildschirm hängen, statt mit ihren Mitmenschen live oder telefonisch zu kommunizieren.
Jetzt – überraschend schnell – sind die sieben Wochen rum. Na gut, minus einen Tag. Es ist Ostermontag, die Fastenzeit ist vorbei. Noch war ich nicht wieder auf Facebook. Erstmal zeige ich noch ein paar Fotos 😉 – auch dies habe ich in den letzten Wochen neu entdeckt, bei Spaziergängen mit Freundinnen:
Industriefarben: alte Zuckerfabrik in Lendemarke
Naturfarben: Strand von Rytsebæk
Soll ich jetzt wieder auf Facebook gehen?
Ich schwanke. Ja, ich hätte große Lust, diesen Blogeintrag zum Facebook-Fasten auf Facebook zu bewerben 😉 Ich bin auch neugierig, ob viele persönliche Nachrichten aufgelaufen sind, obwohl ich versucht hatte deutlich zu machen, dass ich über diesen Kanal nicht erreichbar bin.
Tag 1 nach dem Fasten, 15.28 Uhr
Also gut. Ich gehe wieder auf Facebook. Ich muss ja den Post vom Faschingsdienstag kopieren, um ihn an den Anfang dieses Beitrags zu stellen. Was habe ich verpasst?
- Eine Freundschaftsanfrage von jemand, den ich nicht kenne. Wir haben fünf gemeinsame Freundinnen, von denen ich nur eine im echten Leben getroffen habe. Erstmal ignorieren.
- Sechs persönliche Nachrichten. Darunter eine Geburtstagseinladung, die ich später per Mail nachgereicht bekam (es war eine wirklich schöne Feier). Einen nützlichen Linktipp von einer Bekannten, ich merke mir die Webseite für später. Der Rest ist vergleichsweise belanglos.
- 74 gemischte Benachrichtigungen. Interessant: Die Vorankündigung eines Schreibwettbewerbs, aber dessen Homepage hatte ich eh schon unter Beobachtung. Nettes Geplauder in der Schreibgruppe. 21 „Gefällt mir“ für meine Facebook-Abstinenz-Ankündigung. Der Rest ist irrelevant.
Zeitverbrauch, um das alles zu sichten: eine halbe Stunde.
Und ich habe noch keinen Blick in meine Timeline geworfen.
Tag 1 nach dem Fasten, 15.57 Uhr
Ich riskiere einen Blick in meine Timeline. Ganz oben ein Katzenbild von einer Freundin. Darunter weitere Beobachtungen dieser Freundin, soweit ganz schön. Werbung von Samsung. Mehrere Freundinnen teilen ein Video über ein Recyclingprojekt in Schweden.
Ein Bericht fesselt mich, eine Autorin berichtet von ihren Erfahrungen mit einer Autismus-Spektrum-Störung, ich lese mich in den Kommentaren fest und erwäge, ihr zu schreiben. Lasse es dann doch, sonst muss ich ja später wieder checken, ob ich eine Antwort bekommen habe.
Zurück zur Chronik, nun erwartet mich ein Essensfoto und Werbung für Slipeinlagen. Facebook verbiegt sich wirklich in jede Richtung, um meine Interessen zu treffen. Darunter Fotos aus einer Nähgruppe, Kommentare zu den Schuhen einer Bekannten, Muffinfotos und Diskussionen über den Sinn und Unsinn von Ostern. Bleibe an viel zu vielen Bildern aus der Nähgruppe hängen, schon wieder ist fast eine halbe Stunde rum.
Noch einen Klick auf die neuesten Katastrophenwarnungen aus dem Yellowstone National Park. Vielleicht fliegt uns bald das ganze Magma um die Ohren.
Das Leben kann sehr kurz sein.
Zu kurz für so viel Facebook.
Jetzt ist es 16.30 Uhr.
Eine ganze Stunde für zwei-drei interessante Infos. Die ich vorher nicht vermisst hatte.
Eine Stunde unverbindlicher Zeitvertreib. OK für Regentage, an denen man all das geleistet und erlebt hat, was man sich wünschen kann.
Für alle anderen Tage zuviel.
Tag 1 nach dem Fasten, 17.02 Uhr
Mist. War ich eben schon wieder eine halbe Stunde auf Facebook?
Keine Ahnung, was ich da gemacht habe.
Und ich habe ja schon versucht, mich zurückzuhalten. Früher hätte ich diese eine Stunde, nein ANDERTHALB STUNDEN, JEDEN TAG verplempert, vielleicht sogar mehr. Mal am Stück, mal durch ständige Unterbrechungen meiner sonstigen Tätigkeit, weil die Ablenkung ja immer nur einen Klick weg ist. Und die Jungs wissen, wie sie einen festhalten.
Ich glaube, ich werde meinen Facebook-Konsum weiterhin stark einschränken.
Vielleicht zweimal im Monat, wenn ich etwas gebloggt habe, reingehen und den Eintrag bewerben. Damit ihr dann entscheiden könnt, ob ihr euch weiter von Facebook ablenken lasst oder von meinem Blog 🙂
Danach meinetwegen eine Stunde herumlesen, aber NICHT MEHR.
Am besten geh ich nur noch auf Facebook, wenn ich kurz danach aus dem Haus muss. Mit Wecker, damit ich den Termin nicht verbummele.
So, dann geh ich diesen Eintrag mal bewerben, mal schauen, wie viele Likes ich dafür bekomme 🙂
Wie nutzt ihr Facebook denn so?
Oder wie geht es euch mit anderen „sozialen Medien“?

Frohe Ostern und einen guten Frühling euch allen!
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