Im Land der Elfen

In dieser Woche ist Mittsommer, Sommersonnenwende. In Dänemark feiert man sie an Sankt Hans Aften, dem Vorabend von Johanni.  Die Nächte sind licht, man zündet große Feuer an, und viele sagen, dass nach Einbruch der Dämmerung die Elfen an die Oberfläche kommen und auf den Wiesen tanzen.

Gegenüber von meinem Fenster liegt ein alter Steinwall, dahinter erstreckt sich ein langes Feld. Schon oft habe ich am Schreibtisch gesessen und überlegt, was für eine Welt sich zwischen den Steinen, unter dem Korn verbirgt. Ich glaube, dort wohnen die Elfen, und in Nächten wie diesen kommen sie heraus und tanzen im Mondschein. Heute tun sie das ganz sicher, denn es ist Vollmond. Ich bin in der Dämmerung hinausgegangen und habe sie eingeladen, in die Welt der Menschen, in unseren Garten und auch in meine Bücher.

Abendausblick Bakkegaard Møn

Wenige Glückliche können aus unserer Welt in die Welt der Elfen gelangen. Unsere Hofkatze zum Beispiel. Sie ist vor gut einem Jahr verschwunden. Ich hatte sie davor öfter am Steinwall gesehen und bin mir sicher, sie ist nun bei den Elfen. Unter dem Feld feiern sie das ganze Jahr Feste, der Katze geht es dort gut.

Im Gespräch zwischen dem Steinwall und mir, angestoßen von der neugierigen Katze, entstanden letztes Jahr auch die ersten Kapitel eines Kinderbuches. Es ist ein Versuch, mal etwas ohne Plan zu schreiben, ohne ständiges Verbessern, einfach nur dem folgend, was ich um mich herum spüre und sehe. Die Geschichte beginnt direkt vor meinem Fenster:

Merle und Lisa im Land der Elfen

Wenn es regnet, werden die Steine auf der anderen Straßenseite durchsichtig.
Die graurote Oberfläche verschwimmt, und es erscheinen Zeichen und Schriften, Spalten und kleine Türen in eine andere Welt.
Wer weiß, in welche Spalten er greifen muss, der kann den richtigen Stein öffnen und einsteigen, in die Welt der Elfen, in das Land der Anderen, die unter dem Feld wohnen, das der Steinwall zur Straße hin abschließt. Die Katze kennt diese Welt, sie braucht keine Spalten zu öffnen, sie kann auch so durch die nassen Steine schlüpfen und die Elfen besuchen, die sie streicheln und ihr vorsingen und ihr von dem Beerensaft zu trinken geben, der den Bauch so schön wärmt. Dann schläft sie eine Nacht und einen Tag, und dann kehrt sie zurück ins Leben. Zurück in ein neues Leben, denn als Katze hat man sieben davon, da kann man auch zwei oder drei Leben bei den Elfen lassen, wenn man dafür warmen Beerensaft bekommt.
Aber Menschen finden den Weg nicht so leicht, und wenn sie ihn gefunden haben, kehren sie nicht mehr zurück.
Außer Merle. Merle fand den Weg zu den Elfen, und sie kehrte auch wieder zurück. Doch sie war eine Andere geworden, und sie sah die Welt danach anders, und nicht nur bei Regen.

Vielleicht flüstern mir die Elfen heute ein, wie es weitergeht.
Wenn sie fertig getanzt und gefeiert haben.
Viel kann geschehen in diesen magischen Nächten.

In diesem Sinne – mittsommerliche Grüße aus Møn!

Vier Ratgeber für Romanautoren

In den letzten Jahren haben sich in meinem Bücherregal eine ganze Reihe Schreibratgeber angesammelt. Manche sind ein wenig eingestaubt, andere ziehe ich dagegen immer wieder zu Rate oder nutze sie, um mich in finsteren Stunden vom Sinn des Autorendaseins zu überzeugen. Hier meine Favoriten für Romanautoren:

Louise Doughty:
Ein Roman in einem Jahr. Eine Anleitung in 52 Kapiteln
Eine wunderbare Hilfe, um sich dem Traum vom eigenen Buch anzunähern. Vielfältige Übungen regen an, sich eine Sammlung von Ideen zuzulegen und sie fast unmerklich zu einer Romanhandlung zu verdichten. Ich habe das Buch zweimal begeistert durchgelesen, vom Schreiben geträumt und mit Freundinnen übers Schreiben diskutiert. Erst beim dritten Mal habe ich die Übungen endlich gemacht – und das hat es wirklich gebracht: Viele davon sind zu Keimzellen meines eigenen Romans geworden.

„Schreiben Sie ein oder zwei Absätze aus der Sicht Ihrer Hauptfigur über ein Ereignis, bei dem sie sich den Daumen bricht. Nein, das müssen Sie nicht unbedingt in Ihren fertigen Roman einarbeiten – obwohl ich den Gedanken reizvoll finde, dass im zweiundzwanzigsten Jahrhundert Dissertationen über die seltsame Anhäufung gebrochener Daumen in der Literatur zu Anfang des neuen Jahrtausends diskutieren könnten. (…) Sie werden Dinge über [Ihre Hauptfigur] erfahren, die Sie bisher nicht gewusst haben …“

  • Louise Doughty, Ein Roman in einem Jahr. Eine Anleitung in 52 Kapiteln

Hans Peter Roentgen:
Vier Seiten für ein Halleluja. Ein Schreibratgeber der etwas anderen Art

Unterhaltsam und umbarmherzig: Roentgen durchleuchtet Texte auf ihre Schwachpunkte. Grausliche Texte, aber auch gute Texte: Sie alle können besser werden. Jedes Kapitel beginnt mit ein paar Seiten eines anderen Schreibanfängers, danach wird erklärt, welche Schwächen sich durch diesen Text ziehen und was man erreicht, wenn man sie gezielt ausbügelt.

„Streichen Sie alle Dialoge der Dackelgeschichte auf das Notwendigste zusammen. Prüfen Sie dann, welche Konflikte jetzt deutlicher werden. (…) Nehmen Sie sich dann einen Dialog aus einem Ihrer eigenen Texte vor. Überprüfen Sie diesen nach dem gleichen Muster. Überarbeiten Sie ihn. Legen Sie beide Versionen nebeneinander. Welcher ist besser?“

  • Hans Peter Roentgen, Vier Seiten für ein Halleluja. Ein Schreibratgeber der etwas anderen Art

Elizabeth George:
Wort für Wort oder Die Kunst, ein gutes Buch zu schreiben

Der Ratgeber für alle, die endlich in die Tiefe gehen wollen. Über 300 eng beschriebene Seiten geben erschöpfend Auskunft, von der Ideenfindung über die Recherche (sehr viel Recherche!) bis zur Ausarbeitung (sehr viel Arbeit!). Am Anfang erschlug mich die Fülle an Arbeitsschritten und Textauszügen, inzwischen habe ich aber immer wieder auf diesen Ratgeber zurückgegriffen, um mir zu konkreten Fragen fundierte Tipps zu holen. Sehr interessant finde ich auch die Schilderungen aus dem Arbeitsalltag der Bestsellerautorin, gerade weil auch sie noch bei jedem Buch mit Selbstzweifeln kämpft.

„Ich nähere mich dem Ende der Neufassung und bekomme langsam Angst. Der Juli scheint so nah. Ich habe … das Gefühl, als bekäme ich die Geschichte nicht richtig in den Griff … Ich werde daran denken, dass ich immer Angst gehabt habe und mich durch diese Angst hindurch und an ihr vorbei gearbeitet und den Mut nicht verloren habe.“

  • Elizabeth George: Wort für Wort oder Die Kunst, ein gutes Buch zu schreiben

Stephan Waldscheidt:
Schreibcamp – Die 28-Tage-Fitness für Ihren Roman

Jetzt wird es wieder kurz und knackig – genau so, wie es die müde Autorin braucht, wenn sie auf dem Schlauch steht und den Überblick verloren hat, woran ihr Buchprojekt kränkelt. In 28 pointierten Kapiteln gibt Stephan Waldscheidt Tipps, nach welchen Kriterien man seine Geschichte durchleuchten sollte, um sie noch spannender, anschaulicher und runder zu machen. Mehr Konflikt, mehr Gefühle, mehr Spannung lassen sich mit seinen plastischen Anregungen nachträglich ins Buch zaubern oder auch von vornherein einbauen.

„Sie lieben die Charaktere Ihres Romans? Ach, Liebe wird unterschätzt.
Sie sind auch nicht der Anwalt Ihrer Charaktere. Sie sind Ihr Strafgericht.“

  • Stephan Waldscheidt: Schreibcamp – Die 28-Tage-Fitness für Ihren Roman

Neben diesen meinen Lieblingsbüchern nutze ich auch einige Webseiten und Newsletter für Autoren immer wieder – dazu mehr in einem späteren Beitrag.

Welche Schreibratgeber würdet ihr empfehlen?

Update: In einem späteren Beitrag habe ich zunächst die aus meiner Sicht besten Blogs für Buchautoren vorgestellt.

Die Farbe des Schreibens

Meer bei Spejlsby, Møn

Meer bei Spejlsby, Møn

Neulich las ich, dass die Menschen früher die Farbe Blau nicht als gesonderte Farbe wahrgenommen hätten. Es gab kein Wort dafür, darum machte sich niemand einen Begriff davon.  Noch heute soll es einen Stamm geben, der ein blaues Quadrat nur mit Mühe von einer Menge grüner Quadrate unterscheiden kann. (Nachzulesen zum Beispiel hier.)

Kein Wort, keine Vorstellung von Blau?

Blaumeisen müssten Vergissmeinnicht-Meisen heißen, blaue Flecken wären lila und die blue jeans wahrscheinlich green jeans oder gray jeans, je nach Schattierung.

Wenn ich mir das Meer heute so ansah, konnte ich mir das fast vorstellen. Das Wasser ließ sich bei näherem Hinsehen besser als grün, braun und lila beschreiben.

Trotzdem, der Gesamteindruck war blau – ein Blau, das glücklich macht.

In meinem Leben hat die blaue Farbe lange gefehlt. Es gab nur Grün und Braun und Lila.  Ich gestaltete gerne Dinge. Ich spielte mit Sprache. Ich las Bücher und sah Filme, besonders Fantasy und Sci-Fi. Ich textete sogar beruflich. Aber kreativ schreiben, ich?

Ich hatte kaum eine Vorstellung vom „Schreiben“. Ich sah das Blau vor lauter Grün-Braun-Lila nicht.

2013 erschienen dann plötzlich all diese Bilder in meinem Kopf. Eine Romanhandlung drängte sich auf, ein Schauplatz wuchs aus dem Nichts, Botschaften wollten mitgeteilt werden. Ich fand einen Ort für das Schreiben, die Insel Møn und mein Künstler-Refugium auf dem Bakkegaard. Ich gönnte mir Zeit für das Schreiben, über ein Jahr, in dem der Roman mein Hauptprojekt war.  Und plötzlich erkannte ich das Gesamtbild in all dem Grün und Braun und Lila. Es war blau. Ein Blau, das glücklich macht.

Inzwischen kann ich mir ein Leben ohne kreatives Schreiben nicht mehr vorstellen. Genau wie die Farbe Blau durchzieht es meinen Tag.  Trotzdem habe ich immer Angst, dass ich das irgendwann nicht mehr erkenne. Darum habe ich mir einen Raum für das Schreiben gestaltet, meine Schreibwerkstatt und mein Traumzimmer. Ich lasse mich auch ständig ans Schreiben erinnern: mein Postfach füllen Autoren-Newsletter und Blog-Kommentare, meine Facebook-Timeline Bemerkungen anderer Autoren. Ich tausche mich mit anderen Schreibenden aus, und einige freundliche Leute sehen mich als Schriftstellerin, selbst wenn ich oft daran zweifle, dass ich jemals etwas Vernünftiges fertigstellen werde.

All das sind Fassetten des Schreibens, Fassetten von Blau, und sie machen mich glücklich.

Gibt es vielleicht noch andere Dinge in unserem Leben, die so grundlegend sind, dass wir sie überhaupt nicht wahrnehmen? Die uns glücklicher machen, wenn wir sie endlich erkennen?

Habt ihr das Blau für euch gefunden?

Buchmesse-Begegnungen

VorCarmen Wedeland Leipziger Buchmesse 035 ein paar Tagen war ich auf der Leipziger Buchmesse, aus sehr erfreulichem Anlass: Meine erste Geschichte erschien in der Kurzgeschichtensammlung „Mütter“ bei Edition Roter Drache. Gleich am ersten Buchmesse-Morgen durchquerte ich Halle 2 und fand unter Tausenden Büchern das eine Werk.

Es sieht  schön aus und liegt schmeichelnd in der Hand, außerdem enthält es 30 schräge, spannende und schaurige Geschichten. Das ideale Geschenk für den Muttertag 😉

Danach warteten Hunderte Fans nicht auf mein Autogramm, also hatte ich die Möglichkeit, fünf Hallen voller Literatur zu erkunden. Tiefschürfende Gespräche, bahnbrechende Erkenntnisse, wegweisende Vertragsangebote. Was man als aufstrebende Autorin halt so macht.

So schlenderte ich also gemütlich durch die Gänge. Schlich an den Verlagen vorbei, die später meine großen Romane herausbringen werden, sobald ich sie fertig schreibe. Sah gepflegte Menschen an den großen Ständen der Geisteswissenschaft, die Gebäck aßen und Gespräche führten. Sah auch die Jungs wieder, die vom Hauptbahnhof bis zum Messegelände die vollgestopfte Straßenbahn mit Fußballliedern und „Annkatrin aus Berlin“ unterhalten hatten – in nur zwanzig Minuten waren sie mir ans Herz gewachsen, rein räumlich betrachtet. Sah Manga-Fans mit rosa Perücken und Puschelschlappen und überlegte, wo ich mich in diesem kulturellen Kosmos einordnen könnte. Noch war ich ja frei, frei von Fans, Fototerminen und Fachgesprächen. Kein Gebäck mit Geistesgrößen, keine johlenden Horden (mehr) um mich herum, noch nicht mal Kugelschreiber oder lustige Leinenbeutel konnte ich abgreifen, wie früher auf der Frankfurter Buchmesse.

Zum Glück servierten die Frankfurter in einer Ecke kostenlose Kartoffelsuppe. Danach war ich gestärkt für eine Kaffeepause mit Crêpe. Wenn ich so in mich hineinhorchte, hatte ich gar nicht viel Lust, mir lauter Bücher anzusehen. Meine Seele musste erstmal hinterherkommen.

Ein bisschen sehnte ich mich nach Møn zurück, meinem Insel-Refugium, wo gerade jetzt der Frühling ausbricht, Vogelgezwitscher über den Feldern, in Licht gebadete Strände und all das. Ich dachte an die lange Fahrt vom Vortag, über vier Inseln und die Ostsee. Ich dachte an Vincent, einen jungen Portugiesen, den ich vom Fährhafen Gedser bis kurz vor Berlin mitgenommen hatte. Er reist mit Rucksack und Didgeridoo um die Welt, ohne großen Plan, so wie es ihm gerade kommt. Den Winter über hat er auf einem Biobauernhof auf Lolland mitgeholfen, nun will er weiter nach Sibirien, auf der Suche nach spiritueller Erkenntnis. Zur Finanzierung schwebt ihm vor, diesen Abschnitt zu verfilmen. Am Ende der Reise will er irgendwo eine nachhaltig wirtschaftende Öko-Kommune aufbauen. Wir hatten uns viel zu sagen. Allein dafür hat es sich gelohnt, aus dem Refugium herauszukommen.

Aufraffen und rein ins Getümmel! Ich hörte mir ein Podiumsgespräch an, Social Media Marketing für Selfpublisher. Eigentlich habe ich gar keine Lust auf Reklame, vor allem nicht, bevor ich überhaupt meinen Roman fertig habe, aber die anwesenden Erfolgsautoren wirkten sehr überzeugend und sagten, man könne gar nicht früh genug damit anfangen.  Da fällt mir ein – eine Kurzgeschichte von mir kann man ab jetzt käuflich erwerben, eine ziemlich gute sogar, in der Sammlung „Mütter“, vielleicht zum Muttertag? Es ist nicht zu früh, dafür ein gutes Geschenk zu finden.

Ich nahm ein paar gute Ideen mit und stellte fest: Ich brauche mehr Identifikationsfiguren. Also weiter zur Fantasy-Leseinsel und Händeschütteln mit meiner Herausgeberin. Jawoll, ich habe eine Herausgeberin!

Anja Bagus schreibt Steampunk-Fantasy, die in ihrer selbst erfundenen, wirklich fantastischen und philosophisch sehr interessanten Ætherwelt spielt. Sie ist sozusagen die Mutter der „Mütter“, einer ziemlich coolen Anthologie, die man seit Neuestem kaufen kann, direkt im Verlags-Shop, versandkostenfrei, auch über den Muttertag hinaus.

Anja Bagus Leipziger Buchmesse Fantasy-Lesung

Anja Bagus liest aus „Rheingold“

Ganz in der Nähe beim gleichen Verlagsshop gibt es auch mehrere von Anjas Ætherwelt-Romanen. Sie las dann aus ihrem neuesten Roman „Rheingold“, zwei faszinierende Textpassagen und sehr aussdrucksstark vorgetragen, wieder ein gutes Vorbild. So langsam ordnete ich mich ein in diesem Kosmos.

Mit neuer Energie schlenderte ich weiter, nahm nicht nur einen Burrito, sondern auch ein paar Bücher in die Hand (nicht gleichzeitig), wechselte hier und da ein paar Worte, kam in Entdeckerstimmung und passierte schließlich den Waffencheck zur Manga-Comic-Con. Erst hatte ich da gar nicht hingewollt, aber die Mädels in Plüschschlappen überzeugten mich (und der Typ im Spitzenkorsett erst!). Bilder sind wichtiger als Buchstaben, das weiß ich noch aus meiner Redaktionsarbeit, und auch der gepflegteste geisteswissenschaftliche Stand kann einpacken, wenn eine Gruppe geflügelter Wesen mit wippenden Fühlern vorbeischreitet. Neuer Plan: Nächstes Jahr komme ich im Insektenkostüm zur Messe! Hätte ich schon dieses Jahr tun sollen, passend zu meiner Kurzgeschichte „Die Stars der Krabbelgruppe“, die ist nämlich voller bizarrer Insekten.

Ein bisschen Verkleidung hatte ich immerhin dabei, und die trug ich dann am nächsten Tag zur Release Party „meines“ Buches. Fürs Insekten-Nähen hatte es nicht mehr gereicht, aber ich hatte mir eine Kette in Buchcover-Optik gebastelt, helle Herzen und rote Rosen auf schwarzem Grund, und fühlte mich gut gestählt für die Lesung im „Dark Flower“ in der Leipziger Innenstadt.

Es war ein tolles Event: Autoren zum Anfassen, Geschichten mit Herzblut – bei manchen troff es nur so aus den Zeilen. Ich erlebte, was eine Einleitung im Plauderton bringt (Axel Hildebrand, Tatort-Drehbuchautor), wie gut ein schauriges Gitarrenstück zwischendurch tut (Luci van Org, einfach genial) und wie herzlich auch „Erstleser“ willkommen geheißen wurden. Natürlich war ich zu schüchtern spät dran bescheiden gewesen, um mich selbst für einen Auftritt anzumelden, also genoss ich meine relative Anonymität unter 400 ca. 40 Anwesenden und sammelte anderer Leute Autogramme. Mit einem Rucksack voller Bücher verließ ich die Veranstaltung, im Kopf die magischen Worten meines Verlegers: „Wär schön, wenn du beim nächsten Band wieder dabei wärst.“

Leipzig 2017! Ich schreibe, ich komme – und ich lese.
Im Insektenkostüm.
In meinem Kosmos.

Kleine Welten auf der Wohnzimmerkommode

Bakkegaard Møn Zengarten Wedeland 005Nun ist es bald ein Jahr her, dass ein „Zengarten“ in mein Wohnzimmer zog. Ein flacher Kasten, gefüllt mit feinem Kies. Es tut gut, die kleine Harke zu nehmen und einfach mal Spiralen zu ziehen.

Wie es sich für eine Fantasyautorin gehört, lasse ich meinen Kieskasten allerdings selten im zenmäßigen Zustand. Alle paar Wochen wird umgebaut. Von mir selbst, meinen Besuchern oder auch den Gästen der Pension auf Møn, in der meine Wohnung liegt.

So sind aus den immer gleichen Materialien ganz unterschiedliche Welten entstanden. Hier ein kleiner Rückblick:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wollt ihr euch auch so einen „Zengarten“ ins Haus holen?
Mehr zur Entstehung und zu den Materialien steht hier:
Erschaffe deine eigene Traumwelt.

Was für Welten würdet ihr bauen?

Labyrinth des Lebens

Mögt ihr Labyrinthe?
Ich habe Labyrinthe schon als Kind geliebt.

Dabei habe ich null Orientierungssinn und noch weniger Ortsgedächtnis. Das fiel mir zum ersten Mal auf, als ich in der vierten Klasse einen Aufsatz über meinen Schulweg schreiben sollte und vor meinem inneren Auge nichts als Nebel erschien. Wo fuhr der Bus jeden Morgen lang? Keine Ahnung, ich habe Orts-Legasthenie! Manche finden Orte, an denen sie noch nie waren; ich habe auch nach Jahren der Sesshaftigkeit immer einen Stadtplan/eine Landkarte in der Tasche. Møn macht es mir leicht: Auf einer mittelgroßen Insel kann man nur ein paar Kilometer verkehrt fahren, bis man ins Meer fällt.

Labyrinthe betrachte ich also am allerliebsten aus sicherer Entfernung. Oder eine Zeichnung davon. Labyrinthe aus liegenden Steinen oder kniehohen Pflanzen gehen auch. Ich schummel auch nur ganz manchmal und gehe querbeet.

Manchmal hilft aber alles nichts, denn Labyrinthe können auch mitten im Leben auftauchen. Unvermittelt, vielleicht unüberwindbar. Dann muss es der Nahkampf sein.

So wie letzte Woche, als meine Freundin und Mitstreiterin Demetria Cornfield zu Besuch war. Dank trüben Februarwetters hatten wir keine Schwierigkeiten, uns viele Stunden in das Schreiben von Gruselgeschichten zu versenken. Aber am Sonntagnachmittag war Spazierengehen angesagt.

Unser Plan:
Beim Schloss Liselund die Treppe zum Strand runter, dann nach Süden die Kreidefelsen entlangwandern bis zur Treppe bei Jydelejet, dort rauf und oben an der Steilküste durch den Wald zurück. Kein Problem. Kann sogar ich ohne Karte finden.

Das Ergebnis:
Zwei Stunden durch herabgestürzte Bäume klettern, über tosenden Wellen hängen, sich jeden Meter erkämpfen und schließlich doch an Schlammlawinen scheitern. Tüfteln, ausprobieren, eigene Grenzen überwinden, neue Richtungen einschlagen. Geradeaus über den glitschigen Stamm oder rechts durch das rutschige Geröll? Unter den Zweigen durchkrabbeln oder sich oben hindurchhangeln? Trotz beginnenden Muskelkaters kamen wir keine zweihundert Meter weit. Mit nassen Schuhen und blauen Flecken saßen wir irgendwann wieder im Auto.

Wir fanden, es war der beste Tag seit Langem 🙂

Der Weg ist das Ziel – je verschlungener, desto schöner!

Als ich 2013 nach Møn kam, dachte ich, ich hätte einen klaren Plan. Ein Jahr Auszeit, den besten Roman aller Zeiten schreiben, dann von den Millionen leben. Bei Misserfolg: Zurück in den alten Beruf. 1 oder 0. Sehr straight. Und völliger Quatsch.

Dass der Roman ein Eigenleben entwickelte und sich nicht so geradeaus schreiben ließ, habe ich ja schon mal erzählt. Und selbst wenn ich ihn nach einem Jahr hätte veröffentlichen können, was dann? Bei Erfolg hätten die Leser mehr gewollt – doch in jenem ersten Jahr hatte ich null Ideen, worüber ich sonst schreiben könnte. Und ich hatte auch keine Ideen, wo ich in meinem alten Beruf wieder anknüpfen sollte oder was ich mit meinem Leben noch wollte.

Es kam ja auch anders. Statt eines fertigen Romans habe ich jetzt einen halbfertigen. Dazu aber eine Handvoll fertige Kurzgeschichten, Dutzende Ideen für weitere, Ideen für mehrere weitere Bände zum Roman, Ideen für einen ganz anderen Roman, einen Blog und Kontakte zu verschiedenen anderen Schriftstellerinnen am Anfang ihrer Autorenkarriere.

Material für viele Jahre, und es wächst organisch. In ein paar Wochen erscheint meine erste Kurzgeschichte in einer Anthologie, im Lauf des Jahres vielleicht die nächste: Vor Kurzem habe ich erfahren, dass ich bei der Storyolympiade, einem Literaturwettbewerb für Nachwuchsschriftsteller, eine Runde weitergekommen bin. Das Thema war „Labyrinthe“ 🙂

Da ich auch für Fantasytexte gern recherchiere, machte ich letzten Herbst einen Ausflug auf die Nachbarinsel Seeland. Dort liegt der Kalvehave Labyrintpark, den zwei Chor-Mitsänger von mir vor zehn Jahren auf der grünen Wiese angelegt haben. Im Dienste der Literatur traute ich mich ins große Efeulabyrinth, nicht zum ersten Mal, und fand mal wieder den Weg ins Zentrum nicht. Nach über einer Stunde hatte ich aber immerhin alle Stationen der labyrinthinternen Schnitzeljagd entdeckt, ein kaum erhoffter Triumph. Ich brannte darauf, mir am Eingang meine Urkunde abzuholen … und fand nicht mehr aus dem Labyrinth hinaus. Ich stand vor der äußersten Hecke, es dämmerte, und irgendwann gab ich den letzten Anschein von Würde auf und robbte unter dem Zaun durch. Zum Glück sind es keine Buchsbaumhecken, sondern Bretter, an denen Efeu hochrankt, Lücke bis zum Boden etwa 30 cm …

Die Hauptfigur in der Kurzgeschichte, die kurz darauf für die Storyolympiade entstand, scheitert zur Strafe noch übler, bevor sie ihr Ziel erreicht 😉

Meine Schreiberei ist bunter und vielfältiger geworden, seit ich den geraden Pfad verlassen habe und den Irrungen und Wirrungen meiner Fantasie folge. Und auch mein „echtes Leben“ verzweigt sich auf überraschende Weisen. Da keine Bestseller-Millionen in Sicht sind, bin ich seit einigen Monaten wieder auf Kundensuche als freie Texterin, Redakteurin, Übersetzerin … das war zumindest der Plan.

De facto habe ich noch nicht zielstrebig gesucht, sondern z. B. als Rezeptionistin gejobbt und entdeckt, dass es mir Spaß macht, auch mal den Schreibtisch zu verlassen. Und nun haben mich meine Mitsänger, die Labyrinthbesitzer, gefragt, ob ich im Sommer im Labyrinthpark mitarbeiten will! 80 Prozent deutsche Gäste in der Vorsaison freuen sich über eine mehrsprachige Begrüßung. Vielleicht mögt ihr auch mal durch die Efeuhecken tauchen? Die haben da auch Leute mit Orientierungssinn, die verloren gegangene Besucher wieder rausholen 😉

Darüber hinaus sind in den letzten Wochen zwei neue Kunden mit interessanten Schreibjobs aufgetaucht, auf die ich nicht hingearbeitet habe und über die ich mich sehr freue!

Also – rein ins Labyrinth des Lebens, auch wenn man keinen Plan hat. Geht es nicht viel mehr um die kleinen Entdeckungen auf dem Weg? Die immer neue Vorfreude, wenn man einen unerwarteten Durchgang auftut? Die Bereitschaft, jede Wendung als Bereicherung wahrzunehmen? Auch wenn sie durch eine Senke führt oder zurück zum Ausgangspunkt, diesmal vielleicht mit neuer Perspektive?

Ist euer Lebens-Labyrinth auch so gewunden?

Update: Meine Labyrinth-Geschichte zählt zu den Siegern der Storyolympiade. Mehr dazu in diesem Beitrag 🙂

Ideen-Invasion

In den letzten Wochen habe ich zwei seltsame Storys geschrieben. Beide mit insektenartigen Aliens im Mittelpunkt. Die volle Montur mit Mundwerkzeugen, Fassettenaugen, Fangarmen und zu vielen Beinen. Beide Geschichten waren für Ausschreibungen. Die eine hatte das Thema „Mütter“, die andere „Phantastische Sportler“.

Insektenartige Aliens, bei den Vorgaben? Ich weiß auch nicht, wo diese Ideen herkommen.

Ich habe noch mehr solche Kurzgeschichten in der Pipeline. Ein Dutzend wimmelt nur so von Schaben, Spinnen und Schmetterlingen. Eine Handvoll beherbergt gruselige Gewächse. Und dann gibt es noch abseitige spirituelle Themen, Klamauk und Spielereien.

Woher kommen die Ideen?

Bei manchen habe ich wirklich keine Ahnung. Ich schwör’s, das Zeug stammt nicht von mir. Es ist, als würde mein Klon die Regie übernehmen und nachts ohne mein Zutun in die Tasten hauen. Kein Wunder, dass tatsächlich die meisten meiner Texte rund um Mitternacht entstehen, wenn mein echtes Ich schon den Schlaf der Gerechten schläft. Carmen Wedeland ist schließlich ein Pseudonym, das sich eine vernunftgesteuerte Person zugelegt hat, die in Wirklichkeit Spinnenweben von den Wänden saugt und den Innenhof von Unkraut befreit.

Eine nicht zu leugnende Inspirationsquelle ist der „BLV Naturführer Insekten“ von 1978, den ich als Kind geschenkt bekam und ausführlich studierte. Am liebsten waren mir die Schmetterlingsfotos, aber irgendwann stößt man zwangsläufig auf den Eintrag zur Fortpflanzung der Grabwespen. Das hat meinen Glauben an einen gütigen Gott nicht unerheblich erschüttert. (Googelt es selber, wenn ihr schlecht schlafen wollt.)

Wahrscheinlich wurde ich damals infiziert, die Ideen reiften gut 30 Jahre in mir heran, und nun müssen sie alle auf einmal schlüpfen.

Dabei wollte ich ja eigentlich einen Roman schreiben, der auf einer Kreidefelsen-Insel spielt. Meeresmythen, Glaskunst … Grotten. Ihr ahnt es vielleicht: Die Insel ist schon längst überrannt – in diesem Fall von Krebsen, einer handlichen Variante der Gliederfüßer, verwandt mit den Spinnen. Skurril, schön und schauderhaft.

Ähnlich wie meine Hauptfiguren entwickeln auch meine Handlungsstränge regelmäßig ein Eigenleben. Und nachdem mir 30 Jahre lang ums Verrecken keine Idee kam, worüber ich mal eine schöne Fantasy-Geschichte schreiben könnte, sprudeln die Ideen jetzt in den unpassendsten Momenten. Ich habe es mir schon zur Angewohnheit gemacht, immer ein großes Notizbuch dabeizuhaben, um alles sofort aufzuschreiben.

Nicht dass ich all die Geistesblitze jemals verwerten könnte, aber wenigstens plagen sie mich etwas weniger, wenn sie vorläufig auf Papier gebannt sind. Bei Konzertbesuchen oder beim Küchendienst ist das halbwegs praktikabel. Unter der Dusche, wo die allermeisten Ideen zuschlagen, habe ich mein Notizbuch allerdings nicht dabei. Da muss ich die herumwuselnden Spinnen (also, in meinem Kopf!) aushalten, bis ich das Shampoo abgespült und den Schreibtisch erreicht habe.

Zum Glück bin ich mit diesem Problem nicht allein. Im National Novel Writing Month haben geplagte Autoren für die Ideen-Invasion einen schönen Begriff geprägt: das Plot Bunny. Also das „Handlungskarnickel“, das klingt auf Deutsch nur nicht so wendig, wie es in Wirklichkeit ist. Das Plot Bunny ist eine Geschichtenidee, die plötzlich aus einem Loch kriecht, in die du dich verliebst, die du fütterst und in dein Haus lässt – und schon hüpft es auf und ab, geht dir auf die Nerven, vermehrt sich unkontrolliert und übernimmt die Herrschaft über dein Leben. Ausführliche Beschreibungen vieler gefährlicher Unterarten gibt es hier im inoffiziellen NaNoWriMo-Wiki, und im November kann man die Viecher sogar in speziellen Verliesen Spieleparadiesen verwahren lassen, um sich endlich auf ein einziges Romanprojekt zu konzentrieren.

Heute Nacht habe ich vielleicht Ruhe, weil ich die Story mit den sportelnden Spinnentieren soeben abgeschlossen habe.

Aber wer weiß, was Carmen morgen Nacht wieder treibt? Zuletzt faselte sie etwas von abgeschnittenen Fingern und einem Friedhof im Frühling. Klingt nach einer Geschichte aus der Gruselige-Gewächse-Kategorie, aber es würde mich nicht wundern, wenn sich das eine oder andere Insekt einschliche.

In diesem Sinne: Es ist Mitternacht. Wovon träumt ihr so?

Update: Meine erste Kurzgeschichte erscheint am 18. März. Mehr dazu im folgenden Blogeintrag 🙂
Update 2: Dieses Jahr erscheinen mindestens vier meiner Kurzgeschichten. Mehr dazu im Beitrag Sportliche Erfolge.

Insel der Kunst

Møn scheint Künstler magisch anzuziehen, so wie manche anderen ganz speziellen Orte auf der Welt. Ist es das Licht, der weite Himmel, das offene Meer? Sind es die steinzeitlichen Gräber oder die Stockrosen vor den Fachwerkhäusern, die  sanften Hügel im Westen oder die schroffen Kreidefelsen im Osten? Oder doch nur die Möglichkeit, einen aufgegebenen Bauernhof günstig zu kaufen und zum Wohnhaus mit Werkstatt umzubauen?

Unter den rund 10.000 Inselbewohnern gibt es jedenfalls erstaunlich viele Maler und Fotografen, Glas-, Keramik-, Metall- und Steingestalter, Textil- und Holzkünstler (von den Schriftstellern und Musikern, Film- und Theaterleuten ganz zu schweigen). Die Pension Bakkegaard Gæstgiveri Møns Klint, in der ich wohne, ist gleichzeitig eine Galerie, zu der über ein Dutzend Künstler beigetragen haben, und meine Vermieter malen im Winter, während ich schreibe. Wer kreativ sein will, ist hier gut aufgehoben 🙂

Am zweiten Adventswochenende wurde mir noch einmal bewusst, in welcher kreativen Ecke ich gelandet bin: Da fand bei uns wieder die „Østmønske Julerute“ statt. Künstler und Kunsthandwerker im Osten von Møn öffneten ihre Ateliers und Werkstätten für Besucher. Ich nutze die Gelegenheit immer gern, um ein bisschen hinter die Kulissen zu schauen!

Man kann schöne und erstaunliche Dinge sehen und nach Weihnachtsgeschenken Ausschau halten. Man kommt in liebevoll hergerichtete alte Gebäude hinein und kann es sich bei Kaffee, Kuchen und Glühwein gemütlich machen. Und vor allem kann man sich mit den Künstlern unterhalten und sehen, wie und wo sie ihre Werke herstellen.

Ich liebe diese Gespräche und habe daraus viel Inspiration für mein Buch gezogen. Wenn sowohl die Glaskünstlerin als auch die Strickkünstlerin sagen, dass sie im Dialog mit der Materie arbeiten – dass Kunst nicht komplett planbar sei, dass das Schönste sei, wenn man im Zusammenspiel mit dem Glas bzw. der Wolle etwas ganz Neues schafft, das einen selbst überrascht – dann muss ich wohl auch meinen Romanfiguren freie Hand lassen und mich allenfalls als Co-Autorin an meinem eigenen Buch verstehen!

Kommt doch mal auf Møn vorbei – auch im Sommer kann man viele der Ateliers besuchen, und die schöne Natur gibt’s obendrauf 🙂

Was Schriftsteller von Schneidermeistern lernen können

Ich stehe hier stolz wie Oskar in meinem ersten selbst gefertigen Kleidungsstück. Sieht aus wie eine Daunenweste, ist aber aus Recyclingmaterial: Reste von IKEA-Bettüberwürfen, -Kissenhüllen und den dazugehörigen Stoffsäckchen wollten zu neuem Leben erweckt werden. Nebenbei passt das Outfit perfekt zu meinem Sofa, genau wie meine Laptophülle und meine Wärmeflaschentasche.

Die Weste war mein Projekt für einen Nähkurs, den ich gerade abgeschlossen habe. Hier auf Møn gibt es eine sehr gute Schneidermeisterin, Charlotte Wiegand, die in ihrem Kursuscenter Emilielunden Anfänger und Fortgeschrittene unterrichtet. Mein Kurs bestand aus einer unerfahrenen Mittvierzigerin – mir – und einem munteren Trupp älterer Damen, die in meinen Augen unglaublich professionelle Dinge fabrizierten und mir blutiger Anfängerin erstmal zeigen mussten, wie man die Stoffschere richtig hält. Egal, ich lerne und es macht Spaß!

Natürlich wollte ich mich mit dieser kreativen Betätigung vor allem auch vom Romanschreiben ablenken, aber wie schon bei meinem Sommerjob als Rezeptionistin, musste ich feststellen, dass man auch beim Nähen vieles lernt, das einem beim Schreiben zugute kommen kann.

Geduld für gründliche Vorarbeit

Überlegen, was du nähen willst, warum dir das Teil gefallen würde, ob es einen besonderen Stoff braucht oder durch einen ausgefallenen Kragen besticht. Passende Stoffe und Fäden beschaffen, vielleicht auch noch Futter, Schrägband und Reißverschlüsse. Deine eigenen Maße nehmen, am besten mit sachkundiger Hilfe. Ausgangs-Schnittmuster an deine tatsächlichen Maße anpassen. Zusammenkleben, anprobieren, justieren, dann erst im Stoff ausschneiden und nochmal zusammenstecken, anprobieren, justieren! Das alles dauert Stunden und du hast noch keinen einzigen Stich genäht!

Beim Schreiben gut überlegen, was deine Botschaft sein soll, was das Spannende an der Geschichte ist und in welcher Form sie sich darstellen lässt. Dann Material sammeln, recherchieren, ordnen, Schauplatz und Charaktere anlegen. Dann Handlung planen, überlegen, ob sie alle Inhalte wiedergibt, probieren, ob er für den unbeteiligten Leser verständlich wäre, Löcher ausbessern! Das alles dauert Wochen und du hast noch kein einziges Wort geschrieben!

Der gute Zuschnitt ist wichtig

Jeder Zentimeter zuviel oder zuwenig kann sich rächen, weil nachher das Kleidungsstück an den unmöglichsten Stellen zwickt oder Falten wirft. Egal wie toll der Stoff und wie mühsam das Nähen, du wirst es ganz hinten im Kleiderschrank verstecken.

Überleg dir genauso gut, wie viele Figuren du in dein Buch zwängst, wie viel Weltenbeschreibung du unterbringst und wie du den Spannungsbogen aufbaust. Es wäre doch schade, wenn der Leser überfordert ist oder sich langweilt – und dein Buch ganz hinten im Regal versteckt.

Noch mehr Geduld für saubere Ausführung

Wieder auftrennen, wenn eine Naht nicht ordentlich sitzt. Alles von vorn, wenn du ein Stück Stoff aus Versehen falschrum angenäht hast. Eine Woche warten, bis der Faden nachgeliefert wird, der dir ausgegangen ist. Wirklich sorgfältig an Details arbeiten, wie Schrägband und Reißverschluss. Von der Ferne sieht man das nicht alles, aber wenn du das Kleidungsstück am Leib trägst, wirst du dich ewig ärgern, wenn mittendrin Fäden rausstehen, Muster schief laufen oder du vergessen hast, einen Aufhänger einzunähen, bevor du den Kragen befestigt hast.

In diesem Sinne: Texte gut formulieren, schöner Sprachrhythmus, keine Klischees oder Sachen, die nicht in die Zeit oder Welt passen. Stimmige Überschriften, nachvollziehbare Entwicklungen, keine Tippfehler. Der begeisterte Leser wird vielleicht nach sieben Kapiteln die eine oder andere Scharte gnädig übersehen. Aber es wird dich selbst stören, wenn du es mit einmal mehr Zurücktreten und Drüberschauen leicht hättest optimieren können.

Habt ihr ein Hobby, das euch beim Schreiben oder bei eurer Arbeit weitergeholfen hat?

Mixed-Media-Malworkshop

Letzten Samstag habe ich neue Kreativtechniken ausprobiert – mit erstaunlichem Ergebnis.

Mixed-Media-Malworkshop 00

Wo kommt dieser Dschungel aus Farben und Formen nur her?

Ich war beim Mixed-Media-Malworkshop der Künstlerin Lise Meijer, die mit gemustertem Papier, viel Farbe, Fantasie und Liebe traumhafte Welten schafft. Im Februar habe ich unter ihrer Anleitung schon ein kreatives Vision Board erstellt, das mir immer noch hilft, meine Träume zu visualisieren und über den Augenblick hinauszusehen.

Diesmal waren wir sechs experimentierfreudige Frauen, die sich in einem Raum voller Mal- und Bastelutensilien trafen. Und zu meiner Freude durften wir nicht sofort zu Papier und Pinsel greifen. Denn es ging nicht nur um handwerkliche Techniken und schon gar nicht darum, möglichst viel zu produzieren. Es ging (wie beim Vision Board) auch darum, offen zu werden für den kreativen Prozess – und etwas zu schaffen, das über uns selbst hinausging.

Das ist mir wohl gelungen – denn ich hätte nie gedacht, dass all dieses Rosalila, die Tupfen, Schmetterlinge und Stoffblumen in mir stecken 🙂

Um das zu erreichen, mussten wir erstmal den Alltag weit hinter uns lassen. Mit Musik und Tanz machten wir uns locker (und warm). Dann leitete uns Lise an, den Zugang zu dem zu finden, was uns wichtig war: Aus Zeitschriften rissen wir Bilder, die uns ansprachen, und notierten darauf Wörter, die uns bedeutsam erschienen. Ohne lange nachzudenken, sollten wir außerdem einen Text über einen Menschen schreiben, den wir bewundern – und ihn anschließend unter einer anderen Fragestellung lesen (die ich erst verrate, wenn ihr es ausprobiert habt). Aus diesem Text sollten wir zentrale Begriffe herausfischen. Dann bekamen wir jede zwei kleine Leinwände; auf der ersten sollten wir gemusterte Papierfetzen spontan verteilen, so dass sie als Basis für ein Bild dienen konnten.

Dann zeigte uns Lise weitere Techniken, mit denen sie ihre Bilder aufbaut. Ich habe sie vor allem auf der zweiten Leinwand ausprobiert.

Schließlich bekamen wir freie Bahn, mit einem der Hintergründe weiterzuarbeiten. Ist es noch zu erkennen? Ich habe den zweiten genommen. Und bearbeitet. Und bearbeitet. Mit allen Techniken, die wir gesehen hatten, und mit jeder Menge Material, das mich ansprach.

Wäre ich nicht so völlig vertieft gewesen, hätte ich vielleicht zwischendurch gestoppt 🙂 Gerade nach Schritt zwei, als die verlaufenden Farben und die weißen Punkte so ein schönes Muster ergaben. Aber es war noch so leer, mir fehlte da irgendwie die Action! Und es ging ja darum, zu spielen, offen zu sein, über sich hinauszugehen. Im Dialog mit dem Material – die Blümchen sprangen mich an und gehörten unbedingt auf die entstehende Waldlichtung. Und im Gedanken an die Begriffe, die uns an diesem Tag wichtig erschienen. Ganz unterschiedliche Bilder sind dabei herausgekommen, jedes auf seine ganz andere Art sehr schön.

Eine Erscheinung ist es bei mir geworden … und genauso, wie ich über das Ergebnis staune, bin ich auch sehr glücklich damit. Denn es steckt tatsächlich sehr vieles darin, was ich auch in meinen Romanfragmenten und Kurzgeschichten ausdrücken möchte. Ich bin also auf dem richtigen Weg – und will versuchen, diese Techniken auch auf das Schreiben zu übertragen. Auch wenn dann mehr Rosalila, Schmetterlinge und Blumen in meinen Texten erscheinen 🙂

Habt ihr beim Kreativsein auch schon Erstaunliches erlebt?