Insel aus Zeit

Møn, aus dem Meer entstanden auf einem Fundament aus Fossilien. Milliarden von Kokkolith-Algen, die im Kreidemeer lebten und in Millionen Jahren zu Felsen wurden. Kreidefelsen, die mich zu Tausenden Fotos verlockten und die mich dazu brachten, mein altes Leben hinter mir zu lassen und auf die Insel zu ziehen … Meine Begeisterung für dieses Gestein habt ihr vielleicht schon mitbekommen.

 

Heute veröffentliche ich ein kleines Gedicht, das ich im September 2013 geschrieben habe. Es ziert inzwischen einen Schrank in meiner neuen Traumwelt – und könnte auch der Prolog meines Romans werden:

Am Grund der Zeit

Schwebendes Leben
Im Wasser, zum Licht
Ein Meer – Milliarden
Winzigster Wesen
Fließen und fallen
Sterben und sinken
Bilden den Boden
Der wachsenden Welt

Ein Meter – Millionen
Dunkelster Jahre
Schwerer und schwerer
Versunken, versteinert
Gewachsen, erhöht
Entstand das Land
Leben und Licht

 

Erschaffe deine eigene Traumwelt

Ich habe viele glückliche Tage in Traumwelten verbracht. Als Kind streifte ich durch die Wälder von Narnia und die Paläste von Tausendundeiner Nacht, als Erwachsene reiste ich durch Wurmlöcher und Rollenspiel-Wüsten. Doch erst jetzt bin ich dabei, meine eigene Traumwelt von Grund auf zu bauen, die Kulisse für meinen ersten Fantasy-Roman. In meinen ersten paar Monaten auf Møn wuchs diese Welt wie von selbst, in meinem Kopf, auf Landkarten und im Laptop … also wurde es Zeit für eine gute Vermeidungsstrategie.

Denn welcher Autor will schon innerhalb von ein-zwei Jahren sein Buch fertigstellen? Vielleicht sogar reich und berühmt werden? Klar, das will man nicht. Also macht man statt Schreiben alles mögliche andere. Abwaschen, aufräumen … naja, ein wenig kreativer darf es werden. Zum Beispiel:

Traumwelt Zengarten Fantasy auf Møn

Der Fantasy-Zen-Garten/Sandkasten für Erwachsene

Man nehme eine Fläche, an der man angenehm stundenlang spielen kann, z. B. seinen Schreibtisch oder eine Kommode – ich habe mir eine aus einem IKEA-Küchenelement gebaut, 80 cm tief und dann noch mit Abstand zur Wand aufgestellt.

Auf diese Fläche setze man einen Behälter. Für die kleine Schreibtischlösung (in Griffweite von der Tastatur) täte es ein Schuhkarton. Ich gönne meiner Spielwiese eine Sperrholzplatte, 140 x 112 cm groß, mit einer ca. zehn Zentimeter hohen Leiste drumherum. Man lege diesen Behälter mit einer schalldämmenden Unterlage aus.

 

Dann fülle man diesen Behälter mit Baumaterial! Ich empfehle …

  • Aquarienkies – nicht ganz billig, aber angenehm, um auch mit bloßenHänden darin zu wühlen, außerdem sauber und farblich sortiert zu haben. Wer eine Wohnung ohne Kinder, Teppiche oder Ritzen hat, kann auch Sand nehmen.
  • schöne größere Steine und knorrige Holzstücke (wer reinen Zen will, höre hier auf zu lesen)
  • farbige Steine, Murmeln, Muscheln, Mosaikplättchen
  • Häuser für Wichtel und Feenvolk
  • weitere Bauwerke nach Lust und Laune
  • Spiegel und Glasscheiben, die schöne Wassereffekte ergeben
  • Mensch- und Tierfiguren (da muss ich noch auf die Suche gehen … vielleicht ein Heer Gummidinosaurier?)

 

Dann heißt es: Schaffe, schaffe, Weltle baue!

Wie bitte? Ich wollte doch nur spielen – und jetzt habe ich schon wieder eine Traumwelt geschaffen. Wenn ich nicht aufpasse, entstehen darin bald zwei Kreidefelsen, ein paar Leuchttürme … und Ungeheuer besiedeln die Tiefe. Und schon gibt es Stoff zum Schreiben.

 

Wie würde eure Traumwelt aussehen?

Wer es ausprobieren will – kommt mich doch auf Møn besuchen. Im Juni, Juli und August kann man mein Zimmer sogar mieten und den ganzen Tag im Kies wühlen. Und zwar in der Pension Bakkegaard Gæstgiveri Møns Klint. Weitere Fotos von meiner Traumwelt gibt es hier, und in den nächsten Monaten schreibe ich noch etwas mehr über meine Gedanken bei der Ausgestaltung. Denn da ist Raum für viele Vermeidungsstrategien!

Update: Knapp ein Jahr später haben meine Gäste und ich viel in meinem „Zengarten“ gespielt. Hier ein Rückblick: Kleine Welten auf der Wohnzimmerkommode

Wie ich nach Møn kam, um zu schreiben

Vor anderthalb Jahren habe ich mein Leben spontan geändert. Ich habe meine Arbeit und die Menschen, die mir wichtig waren, hinter mir gelassen, um auf eine Insel zu ziehen und ein Buch zu schreiben. Oft werde ich gefragt, wie es dazu gekommen ist. Letztes Jahr im Sommer hatte ich die Ehre, dazu eine Rede halten zu dürfen, am Johannisfeuer in der Pension Bakkegaard Gæstgiveri Møns Klint, die inzwischen mein Zuhause geworden ist. Die Rede war auf Dänisch; nun habe ich meinen eigenen Text endlich in meine Muttersprache übersetzt ;-), und ihr könnt ihn nachlesen.

Als Teil meines Projektes „Integration in Dänemark“ noch ein kurzer Einschub auf Dänisch …

I dag får I mulighed for at læse min båltale, som jeg holdt på Bakkegaard Gæstgiveri Møns Klint til Skt. Hans sidste år. Den fortæller, hvordan jeg kom til Møn og ændrede hele mit liv for at blive forfatter. Se her min historie som PDF: Hvordan jeg kom til Møn – båltale til Skt Hans.

Hier also meine Geschichte, natürlich nicht ohne Fotos:

 

Rede zur Johannisnacht
in der Pension Bakkegaard Gæstgiveri Møns Klint, Juni 2014

Guten Abend!

Es freut mich sehr, dass ich heute Abend hier am Johannisfeuer eine Rede halten darf – und es überrascht mich auch ein wenig …

… denn eigentlich wollte ich auf Møn nur fünf Tage Urlaub machen, und das war im August letztes Jahr. Jetzt bin ich von München nach Møn gezogen, ich schreibe ein Buch und habe ein neues Leben begonnen.

Sie stehen also an einem gefährlichen Ort – denn all diese Umwälzungen begannen mit einem kurzen Besuch hier auf dem Bakkegaard.

„Fünf Tage Urlaub an diesem schönen Ort? Haben Sie ein Glück, dass Sie soviel Zeit haben“, sagten ein paar andere Touristen zu mir, als wir damals aufs Meer blickten. Sie hatten die Kreidefelsen gesehen und mussten schnell weiter.

Ich konnte in diesem Urlaub überhaupt nichts schnell machen, denn ich war kurz vor der Abreise mit dem Fuß umgeknickt. Ich musste es langsam angehen – wie sich zeigte, war das mein großes Glück.

Was ich noch konnte, war Auto fahren, und so fuhr ich zu den Kreidefelsen, genau wie Scharen andere Touristen an jenem schönen Tag im August. Und dann ging ich Dänemarks längste Treppe hinab. 497 Stufen. Machbar in zehn Minuten – wenn man schnell ist. An Krücken brauchte ich fast eine Stunde. Als ich endlich am Strand war, setzte ich mich auf einen Stein, denn ich konnte keinen Meter weitergehen. Mir tat der Fuß weh, und mir tat die Seele weh. Mein Vater war gestorben, meine Mutter war gestorben, und meine Ehe war in die Brüche gegangen, das Ganze im Laufe von neun Monaten, und ich wusste nicht mehr, was ich mit meinem Leben anfangen sollte.

 

Ich saß also auf dem Stein und sah aufs Meer und die Kreidefelsen. Ich saß dort über eine Stunde lang.

Die Wellen rollten heran, wie sie an allen Küsten heranrollen, überall auf der Erde. Sie rollten heran und rollten hinweg, rollten heran und rollten hinweg. Ich sah aufs Meer und atmete mit den Wellen und wurde ganz ruhig.

Eine Gruppe Schüler kam vorbei, warf Steine ins Wasser und ging schnell weiter. Ich blieb sitzen, dort auf dem Stein.

Ich konnte unmöglich schnell weitergehen. Hinter mir erhoben sich die Kreidefelsen in den Himmel. Über hundert Meter Kreide. Strahlend weiß vor dem blauen Himmel. Steiler als alle Hänge der Alpen. Uralt, überwältigend und schön.

Scharen von Touristen kamen die Treppe herunter, machten Fotos und stiegen schnell wieder hinauf. Ich blieb sitzen, dort auf dem Stein, und zum ersten Mal seit vielen Monaten tat mir nichts weh.

Mein Leben war im Lauf eines Jahres dreimal zusammengebrochen. Doch als ich dort auf dem Stein saß, begriff ich, dass alle meine schlimmen Erfahrungen im Vergleich zu den Kreidefelsen verschwindend gering wogen. Zehntausend Jahre dauert es, bis eine Handbreite dieser Felsen entsteht. Millionen von Kokkolith-Algen waren abgestorben, und ihre Skelettreste hatten diese unglaublich schöne Kreide gebildet. Die Kreide war auf den Meeresboden gepresst und wieder hochgehoben worden, Stücke waren abgebrochen und ins Meer gefallen, und doch war aus dem Ganzen etwas Neues geworden, riesig und wunderbar. Das Leben kann zusammenbrechen, und etwas Fantastisches kann daraus entstehen. Wie konnte ich noch traurig sein? All meine schmerzlichen Erlebnisse waren Teil eines größeren Plans. Etwas völlig Neues und Fantastisches war am Entstehen, das spürte ich, als ich dort auf dem Stein saß.

 

Fünf schöne Tage verbrachte ich hier auf dem Bakkegaard. Ich machte kurze Spaziergänge und las viel, und ich machte Notizen – zu Kreide und Meerwasser und der Pflanzenwelt hier auf der Insel.

Ich war nämlich auch nach Møn gekommen, um Ideen für einen Fantasy-Roman zu sammeln. Nach all den Katastrophen in meiner Familie war das das Einzige, wozu ich wirklich Lust hatte. Als Kind hatte ich immer davon geträumt, mit Bäumen und Tieren und Elfen zu sprechen. Mit 13 schrieb ich mein erstes Märchenbuch, 41 Seiten über eine Prinzessin und ein Hirtenmädchen, die entdeckten, dass sie Zwillinge waren und gegen eine Räuberbande kämpfen mussten (hier in einer maschinengeschriebenen Prachtausgabe mit meinen eigenen Illustrationen).

 

Leider machte ich damit nicht weiter. Ich vergaß meine Fantasy-Welt und wurde Journalistin und schrieb über ernsthafte Themen wie Deutschlands Ausbildungssystem und Arbeitsmarkt. Später bekam ich einige große Unternehmen als Kunden, und statt von Magie und Heldentaten schrieb ich von industriellen Produkten und Marketingstrategien. Zum Beispiel eine Chronik für Bosch und Siemens Hausgeräte (hier in einer gedruckten Prachtausgabe mit professionellen Illustrationen). Und damit verdiente ich richtig viel Geld, also war das wohl besser, als Märchenbücher zu schreiben.

So vergingen über 25 Jahre ohne weitere Fantasygeschichten von meiner Seite. Und ich dachte, ich sei mit meinem Leben zufrieden.

Bis zu dem Tag, als mein Vater von einer Leiter fiel und starb. Da merkte ich: Wenn man einen Traum hat, muss man ihn sofort verfolgen, denn es kann jederzeit zu spät sein. Drei Monate später starb meine Mutter an Krebs, und ich erbte genug Geld, um gleich mehrere Träume zu verfolgen, doch in all den Jahren hatte ich vergessen, was mein Traum eigentlich war.

Aber im April letzten Jahres tauchte der Anfang einer Geschichte in meinem Kopf auf: von einer Insel, die auf Fossilien erbaut ist, wo die Menschen magisches Glas herstellen und im Luxus leben, ohne zu ahnen, dass ihre Insel von einem vorzeitlichen Ungeheuer bedroht ist und in einer Sturmflut versinken wird, wenn sie nicht lernen, zusammenzuarbeiten und ihre Insel zu retten.

Diese Geschichte zu schreiben war das Einzige, wozu ich in jenem traurigen Sommer letztes Jahr in München noch Lust hatte.

Also kam ich nach Møn, um zu erleben, wie es auf einer Insel aussieht, die auf Fossilien erbaut ist. Ich fand die Fossilien und noch viel mehr: Ich fand Kreidefelsen, Glaskünstler und einen magischen Ort, der Kreativität ausstrahlt. Und nach meiner Stunde auf dem Stein bei den Kreidefelsen dachte ich: Langsam ergibt das hier alles Sinn!

Ich kehrte nach München zurück und sagte allen meinen Bekannten: Ich habe beschlossen, mein altes Leben hinter mir zu lassen, nächste Woche fahre ich auf eine dänische Insel und schreibe ein Fantasy-Buch.

Und alle sagten: Das will ich auch!

Keine Ahnung, warum sie heute nicht hier sind … aber ich kam, und die nächsten Monate wurden die glücklichsten meines Lebens.

 

Ich wohnte auf dem Bakkegaard und ging viel spazieren, im Kliffwald und am Strand. Jedes Mal kam ich mit neuen Ideen zurück. Ich beschloss, dass meine Fantasy-Insel Kreidefelsen wie Møn haben musste – noch besser, ich brauchte zwei Inseln mit zwei Kreidefelsen, die einander gegenüberlagen. Und ich brauchte Leuchttürme, nicht nur einen wie hier in der Nähe, sondern mehrere in unterschiedlichen Farben. Außerdem brauchte ich einen Zauberwald und jede Menge Höhlen und Erdlöcher mit lebenden Fossilien.

Am Ende hatte ich fast 100 Seiten Beschreibungen meiner Welt.

Auch meine Figuren erwachten zum Leben, und sie begannen zu heiraten und Kinder zu kriegen, und im Dezember waren es plötzlich zehn Hauptfiguren und etwa 30 Nebenfiguren. Ich liebte jede einzelne von ihnen!

Ich beschloss, dass die Glaskünstlerin in Kapitel 2 einen Leuchtturm bauen sollte, in Kapitel 4 würde er zusammenbrechen, in Kapitel 8 würde das Fossil zum Leben erwachen … Bald umfasste mein Plot 50 Seiten, und ich fühlte mich wie eine Göttin! Ich erschuf eine Welt und bestimmte über Leben und Tod. Ich war allmächtig!

 

Und dann ging irgendetwas schief. Jedes Mal, wenn ich von einem Spaziergang zurückkam, hatten die Figuren angefangen, meine Pläne umzuschreiben. Sie saßen auf der Tastatur und riefen mir entgegen: Deine Pläne für Kapitel 2 und 4 und 8 sind Quatsch. Und im Übrigen haben wir uns jede Menge Nebenhandlungen ausgedacht, die auch noch in dein Buch müssen.

Am Ende hatte ich Hunderte Seiten voller Ideen, aber keinen einzigen Satz geschrieben!

Doch dann, in einer finsteren Januarnacht, begann ich endlich zu schreiben. Nach einer Woche hatte ich anderthalb Kapitel in nobelpreiswürdigem Deutsch und dachte: „Wahnsinn! An Ostern bin ich wohl fertig, dann erscheint das Buch und ich werde reich und berühmt.“ Also schickte ich den Text ein paar Testlesern. Und die wurden ganz verwirrt von meinen zehn Hauptfiguren, und die Handlung begriffen sie überhaupt nicht.

Ein paar Tage lief ich weinend herum, und meine zehn Hauptfiguren saßen auf der Tastatur und ließen die Köpfe hängen. Und im Februar strich ich die Hälfte von ihnen und begann von vorn. Ich schrieb wieder anderthalb Kapitel und fand selbst, dass ich das Ganze jetzt im Griff hatte. Die Testleser sagten, der Text sei jetzt besser.

Doch dann las ich das Ganze selbst noch einmal und fand, dass irgendetwas ganz und gar nicht stimmte. Der Text drückte nicht den Kern dessen aus, was ich gern sagen wollte. Wenn ich die Botschaften, die mir vorschweben, wirklich vermitteln will, muss ich wohl noch mehr Nebenhandlungen und eine Hauptfigur streichen.

Inzwischen arbeite ich an der dritten Version meiner ersten Kapitel. Nun glaube ich nicht mehr, dass Autoren allmächtige Schöpfer sind. Einen Roman zu schreiben, das ist mehr, als würde man die Entstehung der Kreidefelsen beobachten. Jede Menge winziger Ideen werden geboren und sterben ab, sie sinken auf den Meeresboden und werden zusammengepresst, sie tauchen wieder auf, strahlen in der Sonne und fallen in sich zusammen. Und der ganze Prozess dauert Millionen Jahre.

 

Trotzdem bin ich überglücklich, dass ich letztes Jahr im August hierherkam, um fünf Tage Urlaub zu machen. Ich habe einen Ort gefunden, an dem ich mein Leben verbringen will, und Vivi und Uffe haben mich willkommen geheißen, gemeinsam mit vielen anderen freundlichen Menschen hier auf Møn. Deshalb bleibe ich hier auf dem Bakkegaard wohnen, denn das war das Beste, was ich in meinem ganzen Leben gemacht habe: Ich kam hierher, saß auf einem Stein an den Kreidefelsen und versuchte nicht, schnell weiterzukommen.

Danke, dass ihr mir Gesellschaft geleistet habt!

Ich werde integriert

Die Anzeichen mehren sich, dass ich allmählich in Dänemark angekommen bin.

Essenskultur

Sieben Sorten Hering. In der Mitte Pommes: Damals hatte ich noch keine Ahnung von Esskultur

Sieben Sorten Hering. In der Mitte Pommes: Damals hatte ich noch keine Ahnung von Esskultur

Habe begriffen, dass Hering zu jedem Mittagessen gehört.
Habe stets mehrere Sorten Hering im Kühlschrank.
Habe begriffen, dass man den Hering nicht auf Weißbrot, sondern auf Schwarzbrot isst, das Weißbrot ist für den Lachs da. (Was ich heimlich zu Hause mache, steht auf einem anderen Blatt.)
Ärgere mich über deutsche Supermärkte ohne meterlange Lakritz-Selbstmischbatterie.
Frage mich, wie ich 40 Jahre ohne Lakritztee ausgekommen bin.
Überlege, Lakritzpulver anzuschaffen.
Trinke morgens, mittags, nachmittags und abends Kaffee.

Natur, Landschaft, Wetter

Gipfelsieg auf Møn, 135 Meter über dem Meeresspiegel

Gipfelsieg auf Møn, 137 Meter über dem Meeresspiegel

Finde, dass der hiesige Aussichtshügel den Namen „Königsberg“ verdient.
Finde 25 Grad im Sommer unglaublich heiß.
Bin ganz aus dem Häuschen, wenn es im Winter schneit.
Halte das Festland für weit ab vom Schuss und die dänischen Inseln für den Nabel der Welt.
Kann gar nicht glauben, dass man in Deutschland vier Stunden Auto fahren kann und bloß von Frankfurt nach München kommt. In Dänemark ist man nach vier Stunden Autofahrt an der deutschen Grenze oder der Brücke nach Schweden. Oder ins Meer gefallen. Oder im Kreis gefahren.

Teilhabe am gesellschaftlichen Leben

Bekomme endlich auch dänische Spam-Mails.
Bin gleich nach meiner behördlichen Anmeldung vom nächstgelegenen Krankenhaus eingeladen worden, mich auf Gebärmutterhalskrebs untersuchen zu lassen.
Bin außerdem sofort von der Steuerbehörde nach meiner Kontonummer gefragt worden.
Singe im Chor Liebeserklärungen an den dänischen Sommer samt sanften Wiesen, flatternden Flaggen und blauäugigen Mädchen.
Finde, dass Chorproben ohne Kaffee und Kuchen gar nicht gehen, genauso wenig wie Gottesdienste, Vorträge, Schlussverkäufe, Jahreshauptversammlungen und Autofahrten ab 20 km. Sollten zu derlei Veranstaltungen Protokolle geschrieben werden, ist vor oder spätestens direkt nach Aufzählung der Anwesenden zu notieren, mit was besagte Anwesende verpflegt wurden.

Sprache

Brauchte ich unbedingt für meine Schreibwerkstatt. Vor allem wegen der schönen Tasten unten rechts.

Brauchte ich unbedingt für meine Schreibwerkstatt. Vor allem wegen der schönen Tasten unten rechts.

Spreche inzwischen nicht nur Dänisch mit deutschen Einschlägen, sondern auch Deutsch mit dänischen Einschlägen.
Kann mit etwas Glück Festlanddänen und Inseldänen an der Aussprache unterscheiden.
Kann IKEA auf Dänisch navigieren (Billy = Billy, Mitnahmebereich = Ta‘ Selv Lager usw.).
Kann auf Dänisch fluchen. (For helvede.)
Weiß fast ohne nachzudenken, dass halvtreds = 50, tres = 60, halfjerds = 70, firs = 80 und halvfems = 90. (For satan.)
Verwechsle beim Schreiben am Computer oft ö und ä, weil bei dänischer Tastaturbelegung æ und ø genau andersherum liegen. (For pokker.)

Festlichkeiten

Kann die erste Strophe eines beliebten dänischen Geburtstagsliedes auswendig singen und bei den übrigen dreien so tun.
Habe zu Johanni am Lagerfeuer gestanden und eine Rede gehalten.
OK, eher abgelesen.
Aber selbst verfasst und auf Dänisch.
Habe dem Hofwichtel im Advent Süßigkeiten hingestellt.
Habe eine dänische Weihnachtsfeier samt Hering, Lachs, Milchreis, ca. 25 anderen Gerichten, Bier, Schnäpsen und Gesang überstanden. (Und es war gut.)
Bin mit einer dänischen Familie samt Kind und Hund um den Weihnachtsbaum getanzt.

Update, ein Jahr später: Ich werde immer integrierter.
Update, wieder ein Jahr später: Ich werde noch ein bisschen integrierter.
Update, nochmal fast ein Jahr später: Ich werde weiter integriert.

Zu Hause – wo?

Bei der Chorprobe erzählte ich, ich würde die nächsten Tage meine Schwester in Deutschland besuchen.
„Nå, skal du hjem?“, sagte mein Mitsänger.
„Du fährst nach Hause?“
Ich war ganz verwirrt.

Meine Schwester ist vor vier Jahren in eine Stadt gezogen, die ich erst nach und nach kennenlerne. Nach Nordhein-Westfalen, in einen schönen Landstrich. Schön, aber nicht mein Zuhause.

Ich wohne seit über einem Jahr in Dänemark, auf meiner Trauminsel Møn. Es begann mit einer Auszeit, die länger und länger wurde, bis ich letzten Sommer beschloss zu bleiben. Ich sprach mit meinen Vermietern, meldete mich ordentlich an und verzierte mein Auto mit dänischen Nummernschildern. (Sind auch nicht hübscher als deutsche, aber sie waren sehr teuer, und mein Auto ist mächtig stolz darauf.)

„Nå, skal du blive dansker nu?“, fragte mein Mitsänger.
„Wirst du jetzt Dänin?“
Ich war ganz verwirrt.

Der Gedanke war mir noch nicht gekommen. Ich schreibe und denke auf Deutsch, meine Eltern waren Deutsche, ich habe 40 Jahre in Deutschland gelebt. Ich mag Dänemark, aber mein klarer Bezugspunkt ist Møn. „Mønbo“, eine echte Inselbewohnerin, das wäre ich vielleicht gern, aber wie mir weitere Mitsänger versicherten, wird man das erst in dritter Generation und wenn man selbst auf Møn geboren ist. Letzteres ist seit der Schließung des Insel-Krankenhauses wohl verhandelbar. Aber bestimmt nicht für „Zugereiste“ wie mich.

„Zugereist“, das war ich eigentlich schon immer. Auch innerhalb Deutschlands. Die letzten 20 Jahre sogar „zuagroast“. In Passau und München war ich lange glücklich, aber war Bayern mein Zuhause? Allenfalls meine Wahlheimat. Ich kam aus Norddeutschland und war damit „Preiß“, an manchen Stammtischen auch bekannt als „Saupreiß“.

Ist Norddeutschland also mein Zuhause? Schnarup-Thumby, das Dorf mit dem unterhaltsamen Namen, Kreis Schleswig-Flensburg, wo ich aufgewachsen bin? Hier sprachen viele Platt und (gefühlt) alle waren miteinander verwandt. Nicht wir. Wir waren zugereist, als ich acht war, aus dem Kreis Rendsburg-Eckernförde und davor aus Hamburg. So weit südlich waren manche Klassenkameraden als Teenager noch nicht gekommen. Für einige hörte die Welt an der Elbe auf. Für uns ging sie immer schon weiter, denn meine Mutter kam aus Baden-Württemberg, wo meine Vettern und Cousinen Schwäbisch schwätzten, Brezeln aßen und im Sommer das Thermometer auf unerträgliche 30 Grad stieg. Mein Vater hingegen kam aus Hamburg, und als ich vorgestern aus dem Zugfenster auf die Alster sah, wurde mir ganz heimatlich ums Herz, denn als Kinder waren wir oft in der Stadt, um Verwandte zu besuchen. In meinem Ausweis steht Hamburg als Geburtsort, und in meinem Arbeitszimmer hängt der Hamburger Bürger-Eyd meines Vorfahren, der 1806 dem „Rathe“ seine Treue schwor und „40 Mark Courant“ bezahlte, um als ehrbarer Kaufmann in der Hansestadt zu leben. Also auch ein Zugereister.

Meine Mutter zitierte einmal eine andere Pastorenfrau mit den Worten: „Mein Zuhause ist, wo ich meine Koffer auspacke.“ So ähnlich muss ich das wohl sehen. Ich habe meine Koffer – und 20 Umzugskartons – auf Møn ausgepackt, und das ist jetzt mein Zuhause. Meine Wahlheimat. Hier will ich Wurzeln schlagen, weil ich das so beschlossen habe. Weil es sich richtig anfühlt, aus hundert Gründen, die mir bei meiner ersten Insel-Auszeit wie Schuppen von den Augen fielen. Aber das ist Stoff für einen weiteren Eintrag. Ich glaube, dass ich auf Møn Wurzeln schlagen kann, so wie es mir auch in München, Passau und Schnarup-Thumby und zwischendrin (um alles noch komplizierter zu machen) auch in zwei Jahren China gelungen ist. Sie reichen sicher nicht so tief wie die eines „Mønbo“ oder anderer „Ureinwohner“. Dafür bin ich mir aber sehr bewusst, warum ich dort wohnen will. Was mir diese Insel gibt.

Und was mir all die anderen Orte geben, zu denen ich Verbindung habe, die eine Zeitlang mein Zuhause waren oder wo Menschen wohnen, die mir nahestehen. Für diese Bereicherung bin ich dankbar.

Wo seid ihr zu Hause?

Leichte Sprache

Ich habe heute etwas Schweres gemacht.
Ich habe eine Geschichte geschrieben.
Sie war in leichter Sprache.
Das ist wirklich schwer.

Warum brauchen wir leichte Sprache?

Leichte Sprache ist eine gute Idee.
Viele Menschen brauchen leichte Sprache.
Sie können nur schwer lesen.
Aber sie lieben Geschichten.
Sie lieben Geschichten für Erwachsene.
Gute Geschichten.

Wie schreibt man leichte Sprache?

Es gibt Regeln für leichte Sprache.
Zum Beispiel:
Nehmen Sie leichte Wörter.
Schreiben Sie kurze Sätze.
Erklären Sie zuerst eine Sache fertig.
Erklären Sie dann die nächste Sache.

Busene Have 189

Ich finde:

Diese Regeln sind für alle Geschichten gut.
Ich habe heute viel gelernt.

 

Was erzählt meine Geschichte?

Meine Geschichte heißt:
Carmen lernt wieder lachen.
Sie erzählt von Carmen.
Sie erzählt von einer Insel.
Sie erzählt von einer Treppe.
Und sie erzählt von Kreide-Felsen.

Können andere Leute die Geschichte lesen?

Ich hoffe:
Viele Menschen können meine Geschichte lesen.
Aber später.

Die Geschichte ist für einen Wettbewerb.
Der Wettbewerb heißt:
Die Kunst der Einfachheit.

Viele Menschen schreiben für den Wettbewerb.
Die Geschichten kommen vielleicht in ein Buch.
Ich erzähle es euch dann.

Wo können wir mehr erfahren?

Der Wettbewerb heißt:
Die Kunst der Einfachheit.
Er ist von der Lebenshilfe Berlin.
Mehr über den Wettbewerb steht hier:
http://www.kubus-ev.de/lea-leseklub/literaturwettbewerb

Die Geschichten sind für die LEA Leseklubs.
Mehr über die LEA Leseklubs steht hier:
http://www.kubus-ev.de/lea-leseklub

Leichte Sprache ist für viele wichtig.
Mehr über leichte Sprache steht hier:
http://www.leichtesprache.org

Die Regeln für leichte Sprache sind sehr gut.
Die Regeln für leichte Sprache stehen hier:
http://www.leichtesprache.org/downloads/Regeln%20fuer%20Leichte%20Sprache.pdf

Wie findet ihr leichte Sprache?

Bitte schreibt mir.
Ich kann auch schwere Sprache lesen.
Aber versucht einmal leichte Sprache.
Es macht Spaß.

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Fünf Monate später:

Ich habe den Wettbewerb verloren.
Aber das heißt:
Ihr könnt jetzt meine Geschichte lesen!
Klickt einfach auf die nächste Zeile:

Carmen lernt wieder lachen

Nur schnell ein paar Fotos

Im Schweiße meines Angesichts habe ich heute fünf Seiten Roman entworfen eine Kurzgeschichte fertiggestellt die Blogeinträge der nächsten Wochen vorbereitet meine Bilder von anderthalb Jahren Møn gesichtet.

Natürlich war der Plan, sofort nach dem Frühstück Roman, Kurzgeschichten und Blog voranzubringen. Ich wollte vorher nur schnell ein paar Fotos zusammenstellen, als Diashow für meinen Computer. Autorinnen brauchen eine schöne Arbeitsumgebung.

Etwa 50 Bilder, dachte ich.
Vom Dachboden höre ich immer noch die Spottlieder des Hofnissen.
Unterm Tisch sendet der Laptop stumme Rauchzeichen.

15.000 Fotos, behauptet mein Bilderordner?
Ja gut, ich habe die Kreidefelsen zur Sicherheit mehrfach fotografiert … und das Meer und die Sonnenuntergänge und ein oder zwei Steine. Blumen.
15.000 Fotos. Daraus eine Auswahl der besten 50 zu treffen, tut wirklich weh.
Und ich bin kläglich gescheitert.

Hier also 120 Fotos von anderthalb Jahren Møn … ich habe noch ein paar mehr … vielleicht ein paar bessere … aber der Laptop raucht weiter, und der Kopf auch.

Heute erhole ich mich dann mit Roman, Kurzgeschichten und Blogeinträgen. Sofort nach dem Frühstück.

Update: Acht Monate später habe ich nicht nur viel gebloggt, an meinem Roman weitergearbeitet und mehrere Kurzgeschichten geschrieben … sondern auch 50 neue Møn-Fotos hochgeladen, diesmal alle im Hochformat. Wer Lust hat, findet sie im Beitrag „Die Schönheit des Augenblicks“.

Update 2: Inzwischen gibt es noch mehr Momentaufnahmen aus Møn.
Update 3: Ich fotografiere weiter: Hundert bunte Inselbilder 🙂
Update 4: Noch ein paar. Genaugenommen 99 Naturaufnahmen.
Und später kamen noch 75 Frühsommerfotos und 93 Dänemark-Bilder 🙂
Sowie 22 Winter-Visionen.

 

Inselauszeit

Ulvshale und Nyord im Schnee 048

Neujahrsmorgen: Start in die Zukunft.
Das Laufband rollt an. Es geht los.
Ich will vieles schaffen.
Gute Vorsätze: Sport treiben, Aufträge abarbeiten, vorankommen.

Ich beginne von vorn.

Neujahrsmorgen: Stille Zeit.
Ich bleibe lange liegen. Ruhe. Träume.
Ich werde Schönes schaffen.
Gutes verwirklichen: Singen … schreiben … innehalten.

Ich bin angekommen,
auf meiner Insel aus Zeit.