Wenn Erzähler plötzlich zaubern: National Novel Writing Month 2017

Diesen November war wieder „National Novel Writing Month“. 30 Tage lang habe ich in die Tasten gehauen, genau wie viele Tausend Autoren in der ganzen Welt. Gut 50.000 Wörter ist mein Roman jetzt lang – rund 180 Buchseiten.

Im 19. Jahr seines Bestehens rechnete das „NaNo“-Team mit 400.000 Teilnehmern: Auszug aus der Pressemitteilung vom September 2017

Die Aktion findet jedes Jahr im November statt, für mich ist es die dritte Teilnahme. Gleich beim ersten Mal erreichte ich das Ziel ebenfalls, mit einer früheren Version des gleichen Romans. Doch ich war die ganze Zeit gestresst und hinterher mit dem Text so unzufrieden, dass ich ihn lange nicht mehr anrührte (hier mein Bericht zum NaNo 2015). Letztes Jahr schrieb ich bewusst langsam an einem Kinderbuch und schaffte daher „nur“ 33.000 Wörter; sie klingen zwar schöner, liegen aber ebenfalls in der Schublade (hier meine Überlegungen zum NaNo 2016).

Dieses Jahr stand der NaNo unter dem Motto „Superpowered Noveling“  – und tatsächlich fühlte ich mich das erste Mal so, als hätte ich die Sache um Längen besser im Griff:

Ich „gewann“ den NaNo schon gestern, also mit einem Tag Vorsprung, trotz einer recht „unproduktiven“ Reisewoche in der Mitte. Heute habe ich auf gut 52.000 Wörter erhöht 🙂

Ich bin diesmal nicht ausgepowert, sondern zuversichtlich, dass ich das Schreiben auch in den Dezember und, wenn nötig, in den Januar hinein fortführen kann, jeden Tag rund 2000 Wörter, bis ich die Geschichte zu Ende gebracht habe. Und dann geht es mit neuer Energie ans Überarbeiten!

Ich bin mit dem Geschriebenen wirklich glücklich. Nicht weil es perfekt wäre, das ist es nicht. Aber: Ich weiß endlich, was ich tue. Meine Figuren machen mit. Die Handlungsstränge laufen organisch ineinander. Und die Roman-Ereignisse spitzen sich zu.

„Superpowered Noveling“ eben! Wer wie ich jahrelang an seinem Buchprojekt herumgekrebst hat und nie wusste, woran es kränkelt, kann diese Erleichterung vielleicht nachvollziehen.

Motivierende Medaillen: Beim National Novel Writing Month gibt es auch zwischendurch viel zu gewinnen.

Woher kamen diese „Creative Superpowers“ so plötzlich? Für mich war es die günstige Kombination aus drei Faktoren:

1. Ich folgte einer Struktur, die funktioniert.

  • Drei Akte: Exposition, Eskalation, Resolution. Darin verteilt  Meilensteine wie Plotpoints und Pinchpoints, gewürzt mit dramatischen Fragen, Krisen und Höhepunkten.
  • Drei Hauptfiguren, aus deren Perspektive ich schreibe, darunter eine Haupt-Hauptfigur, die rund die Hälfte der Szenen bekommt.

Diese Struktur verdanke ich diversen Schreibratgebern, vor allem zwei Werken von Stephan Waldscheidt: Schreibcamp: Die 28-Tage-Fitness für Ihren Roman und Plot & Struktur: Dramaturgie, Szenen, dichteres Erzählen. (Klingt wie Werbung, soll es auch gerne sein; aber ich habe die Bücher selbst gekauft und meine Empfehlung mit niemandem abgesprochen 🙂 ).

Aus dieser Struktur leitete ich meine Szenen ab, und auf die konzentrierte ich mich dann Schritt für Schritt, Tag für Tag, meist vormittags zwei bis drei Stunden lang.
Nach etwa zwei Wochen musste ich etwas mehr Zeit investieren, um den 2. Akt feinzuplotten, hier kam das erste Mal sowas wie Stress und Unsicherheit auf, aber es war ein super Gefühl, als das auch stand. Der 3. Akt ist mir sowieso ziemlich klar – auf dieses Ende zielt das Buch schon immer ab. Darauf freue ich mich besonders, aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg!

2. Ich achtete darauf, dass es mir gutging.

So ein Roman ist ein Marathon, kein Sprint. Zu meinem Glück (oder Pech) hatte ich diesen Monat wenig bezahlte Arbeit. So konnte ich das Schreiben als Arbeit ansehen, hatte danach frei und dachte nicht mehr an mein Buch (außer an den unglücklichen Tagen, wo ich noch nachplotten musste). Also hieß es auftanken! Ich kochte mir anständiges Essen, nahm mir Zeit für Spaziergänge und Treffen mit Freunden. In der Mitte des Monats machte ich sogar eine Kurzreise nach Hamburg. Es war schön, aber das Schreiben fehlte mir sofort! So kam es, dass ich immer wieder neu Energie zum Schreiben hatte, die innere Kerze nie abbrannte, aber ich trotzdem laufend wusste, woran ich gerade war. Es floss einfach. Superpowers 🙂

3. Ich glaubte weiter an den Zauber des Erzählens.

Im Lauf dieses Jahres habe ich mir vergegenwärtigt, was ich eigentlich mit diesem Buch aussagen will. Wie die Geschichte von dem Scherbenhaufen, die ich letzten Monat erzählt habe. Wie die ganze Geschichte, warum ich nach Møn kam, um zu schreiben. Und ich dachte an die Vision, die ich bei einem Waldspaziergang Anfang dieses Jahres hatte. Ich war mit der inneren Frage aufgebrochen: Wie soll ich dieses Jahr gestalten, damit es gelingt? Drei Antworten bekam ich: 1. Folge den vorgegebenen Strukturen. 2. Achte darauf, dass es dir gutgeht. 3. Glaube weiter an den Zauber.

Das habe ich getan, und es hat geklappt 🙂

Wie geht es euch mit euren Schreibprojekten oder anderen großen Vorhaben? Was ist euer Erfolgsrezept?

Liebe Grüße von der Insel, Carmen Wedeland

Aus Scherben etwas Schönes bauen

Ein Mädchen sitzt auf einem Haufen Glasstücke. Die Scherben schneiden in ihre Haut. Sie weiß nicht, warum sie hier ist. Sie weiß nicht, was das für Scherben sind. Sie ist halb taub, denn gerade hat es geknallt. Sie sieht nach oben. Der Himmel tobt. Das Gewölbe, das sie schützte, ist weg. Stümpfe von Säulen ragen in die Nacht.

Wer ist dieses Mädchen? Was ist passiert? Wird sie sich retten können?

Diese Frage hat mich beschäftigt, seit ihr Bild im Frühjahr 2013 in meinem Inneren auftauchte. Ich kannte das Mädchen nicht. Aber ihr Leiden ließ mir keine Ruhe. Ihre Welt war zusammengebrochen. Die Scherben taten mir weh. Ich spürte das Ende einer aufwühlenden Geschichte. Oder war es vielleicht ein Anfang?

Es ließ mir keine Ruhe. Seit meiner Jugend hatte ich Geschichten schreiben wollen. Doch nie war mir etwas eingefallen, das mich lange genug faszinierte. Das Scherbenmädchen faszinierte mich, monatelang. Ich spürte in mich und fand weitere Bilder. Szenen, die ich nicht verstand und die scheinbar nicht zusammenhingen. Doch ich wusste, ich musste mich ihnen stellen. Ich schrieb sie auf, ich ordnete sie und versuchte sie zu verbinden. Eine Insel entstand, Fossilien, Figuren, sie bauten leuchtende Gebilde aus Glas und hüteten dunkle Geheimnisse. Der Schauplatz eines Romans, der Ausgangspunkt einer Handlung.

Im August 2013 suchte ich den Ort, wo diese Handlung stattfinden könnte. Ich kam auf die Insel Møn, angezogen von den Kreidefelsen und ihren Fossilien. Ich fand den perfekten Ort zum Schreiben. Seitdem wohne ich hier.

Die Natur draußen half mir, meinen Schauplatz weiter auszubauen. Drinnen im Haus untersuchte ich Glas. Lampen und Spiegel, Splitter und runde Stücke, die das Meer weichgeschliffen hatte. Ich las viel über Glas. Es kann trüb sein oder klar, es kann Einblicke ermöglichen und Wahrheit verzerren. Es ist hart und doch nicht fest, man kann aus Glasplatten Häuser bauen oder mit Mosaikteilchen Schmuckstücke gestalten. Ich schrieb Gedichte über Glas als Metapher für das menschliche Dasein.

Inzwischen wusste ich: Das Mädchen war ich selbst. Und der Scherbenhaufen war mein Leben.

Im Oktober 2012, heute vor fünf Jahren, starb mein Vater. Er war von einer Leiter gefallen. Das Firmament, unter dem ich gelebt hatte, brach zusammen. Drei Monate später starb meine Mutter, und wohin ich mich in meinem Leben drehte, ich griff in schmerzende Scherben. Nach und nach hob ich sie hoch, betrachtete die Bruchstücke meines Lebens und fragte mich, ob ich je wieder aufstehen und weitermachen konnte.

Doch dann kamen die Bilder: das Scherbenmädchen und weitere Szenen. Sie wollten in Worte gefasst werden. Ich reiste nach Møn, um zu schreiben. Die Kreidefelsen erinnerten mich daran, dass es Größeres gibt als unser kleines Leben. Die Leuchttürme und der Sternenhimmel malten eine Landkarte für meinen Roman. Und dann fand ich eine Künstlerin, die mir erklärte, wie sie mit Glas arbeitet.

Mette Folmer füllt Glasplatten mit Fischgräten, Metallen und Kreidekrümeln oder verbindet fließendes Glas mit Stein und Draht. Ihre Werkstatt auf dem Tranemarkegård liegt im Osten der Insel Møn.

„Glas hat seine eigene Seele“, sagte sie. „Man muss demütig an die Arbeit herangehen, offen bleiben für Veränderungen, nichts erzwingen wollen. Wenn ich mich beeilen will, schneide ich mich oder das Glas zerbricht. Aber wenn ich mich darauf einlasse, entstehen die schönsten Dinge. Ich freue mich jedes Mal darauf, den Ofen zu öffnen. Jede Luftblase ist ein Geschenk. Manchmal denke ich auch, dass etwas komplett danebengegangen ist. Aber dann kommt ein anderer und findet genau dieses Stück am schönsten.“

In ihrer Werkstatt durfte ich selbst ein Bild aus Glasstückchen machen. Auf einer farblosen Platte sollte ich Scherben anordnen, nach dem Brennen konnte ich mein Bild mit nach Hause nehmen. Ich hatte großen Respekt vor den vielen scharfkantigen Stücken. Zuerst sortierte ich nur Farben und Formen, fand keinen richtigen Plan. Dann entdeckte ich eine Engelfigur. Sie setzte ich an die Spitze meines Bildes, auf sie hin richteten sich alle Teile von selber aus. Allmählich entstand eine Landschaft, die Kreidefelsen von Møn mit zwei Krebsen im Wasser. Zum Schluss verschwand der Engel und machte einer Sonne Platz. Er hatte geholfen, meine Welt zu ordnen, nun wurde er nicht mehr gebraucht.

Das Glasbild liegt noch heute in meiner Schreibwerkstatt, direkt unter den Wandtafeln mit meiner Romanskizze. Mehrere Male habe ich den Plot schon umgebaut, Figuren erschaffen und wieder gestrichen, die Teile hin- und hergeschoben. Allzuviele Ideen haben die Sicht auf das Ganze getrübt. Nun will ich mein Schreiben wieder mehr auf den Ursprung ausrichten. Das Mädchen mit den Scherben, ihre Geschichte und die Frage: Wie kann man aus Scherben etwas Schönes bauen?

Ab nächster Woche schreibe ich den Roman neu. Dann ist National Novel Writing Month. Ich habe ein Ziel und ich freue mich darauf.

Ich möchte, dass der Scherbenhaufen nicht ein Ende, sondern ein Anfang ist.

Liebe Grüße von der Insel, Carmen Wedeland

Weine nicht um Glas, das zerbrochen,
– spricht Weltabor, der Weise.
Wer weint, sieht nicht klar.
Wirf die Scherben ins Meer!
Das weiche Wasser wird sie dir schleifen,
und jedes spitze, schneidende Stück
formt es zu rundem, rieselndem Sand.
Schmeichelnd umfließt er deine Hand,
und schmilzt du ihn ein, erhältst du zurück
das Glas, das zerbrochen war.

(Bruchstück aus einer frühen Romanversion)

NaNoWriMo: Auf ein Neues!

Der November rückt näher.
Lange Nächte, Nieselwetter, Netflix.

Netflix? Nein. Für mich, und viele, heißt November:
Lange Nächte, Nieselwetter, NaNoWriMo.

NaNoWasBitte?

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Der National Novel Writing Month, ein jährliches Event, bei dem Tausende Schreibende rund um den Erdball versuchen, jeder ein Romanprojekt von 0 auf 50.000 Wörtern zu hieven. Auf der Website nanowrimo.org kann man sich anmelden und wird süchtig danach, sich die Fleißsternchen für erreichte Zwischenziele abzuholen in einer starken Gemeinschaft angefeuert, sein Ziel zu erreichen.

Auch ich will wieder nach den Sternen greifen.
Unbekannte Welten warten!

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Letztes Jahr habe ich zum ersten Mal teilgenommen und gleich eine Punktlandung hingelegt (mehr dazu im Beitrag „30 Tage für meinen Roman“). Trotzdem schlage ich diesmal einen anderen Kurs ein:

  1. Geschwindigkeit drosseln. Lieber Klasse statt Masse, auch beim ersten Entwurf. Denn meine letztes Jahr hingeworfenen Texte sind so mäßig, dass ich anschließend lange keine Lust hatte, an dem Buch weiterzuarbeiten. Neuer Kurs also: Kein Stress, falls ich für die täglichen 1667 Wörter  dreimal so lange brauche. Die Zeit spare ich hinterher beim Überarbeiten.
  2. Ohne Navi unterwegs sein. Diesmal schreibe ich ohne Handlungsplan. Eigentlich bin ich ja die gründlichste Plotterin des Planeten – sieht man am Drei-Meter-Handlungsplan für meinen Fantasyroman. Genau den überarbeite ich nun zum x-ten Mal, denn der letzte NaNo hat mir gezeigt, dass ich meine Hauptfiguren nochmal umcasten und einige Handlungsstränge straffen muss. Da ich das bis nächste Woche nicht fertig habe, wechsle ich diesmal von den Plottern zu den Pantsern, die ihre Geschichte beim Schreiben spontan entwickeln.
  3. Aus diesem Grund schreibe ich nicht an meinem angefangenen Roman  weiter, obwohl der zurzeit sehr stark in mir arbeitet. Sondern ich setze endlich das Kinderbuch fort, dessen erste Kapitel 2015 spontan entstanden, während ich die Streifzüge unserer Katze im Land der Elfen  beobachtete. Meine Nichten und Neffen haben neulich gefragt, ob ich die Geschichte endlich fertig habe!
  4. Ich will nicht wegen des NaNo noch mehr vor dem Computer sitzen als eh schon. Wenn mich die Arbeit dazu zwingt, heißt das ansonsten: Facebook-Rationierung, kein zielloses Surfen, Zeitung nur noch auf Papier und striktes PC-Runterfahren in allen Pausen. Wenn das und Punkt 1 bedeuten, dass ich am 30.11. keine 50.000 Wörter habe, schreibe ich halt bis Weihnachten weiter. Dann besuche ich nämlich besagte Nichten und Neffen und kann sie gleich als Testpublikum nutzen 😉
  5. Ich will nach dem NaNo nicht wieder in ein schwarzes Loch fallen, wenn all der Druck plötzlich weg ist. Daher: weiter Freundschaften pflegen, Dinge unternehmen und speziell für Anfang Dezember etwas Nettes planen. Und natürlich: weiterschreiben …

Guten Start an alle Mit-NaNonauten!
Vielleicht begegnen wir uns da draußen im virtuellen Schreibraum?

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Update, 30.11.16: Diesen NaNo habe ich mit 33.000 ausgesucht schönen Wörtern beendet.
Update 2, 30.11.17: Den folgenden NaNo konnte ich mit 52.000 Wörtern spannungsreicher Handlung beenden, hier ein Bericht dazu 🙂

Musik als Muse

Gestern wollte ich endlich an meinem Roman weiterarbeiten. Dutzende Ideen warten schließlich darauf, geordnet und ausformuliert zu werden. Aber nach mehreren Monaten Sommerjob war ich müde. Ich hörte Musik und driftete ab. Und so endete der Abend mit einer Shoppingtour auf Amazon, wie schon so manche Abende vorher. Doch ich hoffe, dass diese Einkäufe mich später beim Schreiben unterstützen werden. Denn ich kaufte Musik, noch mehr Musik. Und Musik hilft mir beim Schreiben, ganz allgemein oder auch für bestimmte Zwecke. Hier eine Auswahl meiner Lieblingsstücke:

Treppenhaus Stift MelkGeorg Friedrich Händel: „The Messiah“
Der grüne Tee in meiner Musiksammlung, denn klassische Musik fördert die Konzentration. Mit über zwei Stunden Spielzeit ist das Oratorium lang genug, um komplexe Produktbeschreibungen für meinen Kunden zu bearbeiten. Leider werde ich das Stück bei keinem Konzert mehr genießen können, ohne dass vor meinem inneren Auge Tabellen und Bullet Points erscheinen. Eine ähnliche Wirkung hat auf mich z. B. die „Johannespassion“ von Bach. Beides funktioniert aber nur, weil ich die Stücke schon längst in- und auswendig kenne, so dass mich der Text nicht mehr ablenkt.

Feuerwerk in ChinaMichael Gioacchino: „Super 8“
Diesen Tipp habe ich von der Website eines anderen Schriftstellers und wenn ich noch wüsste, von wem, würde ich mich überschwänglich bei ihm bedanken. Ich habe mir angewöhnt, die Filmmusik zu hören, wenn ich Romanszenen aus der Sicht meines Protagonisten entwerfe. Inzwischen sehe ich die Welt schon aus seinen Augen, sobald die ersten Takte laufen! „Super 8“ ist die Cocktailkarte in meiner Kollektion: Die Stücke versetzen mich in ganz unterschiedliche Stimmungen, meist schwingt etwas Unheilvolles und Dringliches mit. Ähnlich gut funktioniert die Filmmusik zum „Herrn der Ringe“ von Howard Shore – nur dass ich hier der Versuchung widerstehen muss, alle paar Seiten Orks durch mein Buch jagen zu lassen.

Glaspalast in IndienAgnes Obel: „Aventine“
Dieses wunderschöne Album wäre die Weißweinschorle in meiner Musikbar, und seit dem ersten Hören assoziiere ich es mit einer weiteren Hauptfigur meines Romanprojekts. Klaviertöne wie glitzernde Glasperlen, schwingende Saiten und eine Stimme, die Felsen vibrieren lassen könnte – Obels Musik malt meine Fantasy-Insel vor mein inneres Auge, so, wie sie meine Protagonistin liebt. Sie ist Glaserin und rein zu Recherchezwecken habe ich vor Kurzem ein Album mit Glasharmonika-Musik angeschafft: William Zeitler, „Music of the Spheres“. Auch das ist so schön, dass ich den ganzen Abend in Insel-Erscheinungen schwelgen könnte, statt sie endlich verständlich aufzuschreiben 🙂

Statuen in KärntenHerbert Howells: „Requiem/Take Him, Earth, For Cherishing“
Natürlich wird meine Romaninsel in ihrer ganzen Schönheit irgendwann untergehen – oder? Das glückliche Leben mancher Figuren wird jedenfalls schmerzvolle Veränderungen erfahren.  Melancholie, Loslassen, Versöhnung und Hoffnung – so eine Stimmung strebe ich gegen Ende meines Buches an. Und finde sie in der o. g. Sammlung englischer Chorwerke von Howells. (Um in der Getränkemetapher zu bleiben: dem Salbeitee mit gaaaanz viel Honig in meiner Sammlung.) Ähnlich ergreifend finde ich auch das „Pater Noster“ von Michael Bojesen, eine sehr moderne Komposition, die für mich nun bis zum Jüngsten Tag mit meiner Kurzgeschichte „Siebenfinger“ verbunden sein wird: helle Stimmen, die aus dem Jenseits rufen …

Habt ihr auch solche Musikstücke, die euch in eine andere Welt versetzen und eure Kreativität beflügeln?

(P. S. Die Fotos haben geografisch oder geschichtlich nichts mit den Stücken zu tun, aber sie versetzen mich in eine ähnliche Stimmung 😉 )

 

 

Die besten Blogs für Buchautoren

Im Mai habe ich vier Ratgeber für Romanautoren vorgestellt, die ich immer wieder zur Hand nehme.

Jetzt kommen die besten Blogs für Buchautoren – natürlich wieder aus meiner völlig subjektiven Sicht 🙂

Richard Norden:
Autorennewsletter/WritersWorkshop.de

Jeden Samstag freue ich mich, wenn der „Autorennewsletter“ von Richard Norden in meinem E-Mail-Postfach landet. Man kann ihn auf der Seite WritersWorkshop.de abonnieren oder die alten Beiträge auf seinem Blog nachlesen. Norden liefert anschauliche Tipps zum Handwerk des Schreibens, sein aktuelles Schwerpunktthema sind beispielsweise „Protagonisten“:

Eine der häufigsten Fragen rund um Protagonisten ist, wie man Romane mit mehreren Protagonisten schreibt. Die Antwort auf diese Frage gefällt den meisten allerdings nicht: „Nach Möglichkeit gar nicht.“

Diese etwas launisch klingende Antwort hat einen Grund. Die meisten Romane werden besser und stärker, wenn man sich auf einen einzigen Protagonisten beschränkt.

Aber wird das nicht langweilig? (…)

Darüber grüble ich seit letztem Samstag nach … Richard Nordens Ausführungen dazu gibt’s in seinem Artikel „Wie viele Protagonisten kann ein Roman vertragen?“.

 

Stephan Waldscheidt:
Schriftzeit.de

Stephan Waldscheidt hat es im Mai schon auf meine Ratgeber-Empfehlungsliste geschafft, mit seinem Buch Schreibcamp – Die 28-Tage-Fitness für Ihren Roman. Seine Website schriftzeit.de enthält noch viel mehr plakative, anschauliche und überzeugende Schreibtipps. Jeder einzelne davon macht mir Lust, mein komplettes Buchprojekt umzukrempeln und es noch, noch, noch besser zu machen. Zum Beispiel dieser:

Ich bin ein großer Fan von detailreichem Schreiben. (…) Dennoch findet sich in manchen Romanen eine erdrückende Detailfülle bei Beschreibungen. Das können genaue Beschreibungen von Dingen sein, wie etwa die eines Portals, die sich über mehrere Seiten erstreckt (Umberto Eco, »Der Name der Rose«). Oder minutiöse Aufzeichnungen von Abläufen (»Sie hob das rechte Bein, drehte sich auf dem linken um die eigene Achse und trat dem Angreifer mit der ausgestreckten Zehe zwischen die zweite und dritte Rippe von oben. Der Angreifer fiel nach hinten, wischte bei dem Versuch, sich irgendwo zu halten, mit der linken Hand Gläser vom Tisch, und zog mit der rechten gleichzeitig seine Pistole und schnippte mit dem Daumen den Sicherungshebel …«).

Das ist realistisch, oder? In der Realität ist dieses Portal so detailreich, Eco hätte ein ganzes Buch darüber schreiben können statt nur zehn oder zwanzig Seiten. In der Realität sind Bewegungen von Menschen bei einem Kampf so komplex, dass man jeder Kampfsekunde mindestens zwei, drei Sätze widmen müsste, um sie einzufangen.
Die Realität ist: Sie können das Leben nicht einmal ansatzweise erschöpfend beschreiben. Sie schaffen es nicht einmal, auch nur ein Prozent der Wirklichkeit in Ihrem Roman abzubilden. (…)

Also versuchen Sie es gar nicht erst. Jedes Buch hat einen Mechanismus mit eingebaut, der dafür sorgt, dass die Geschichte den Detailreichtum bekommt, den sie braucht, um zu wirken. Man nennt diesen Mechanismus umgangsprachlich auch »Leser«.

Ihre Aufgabe als Autor ist es, Kondensationskerne in den Kopf Ihrer Leser zu pflanzen, aus denen die Story entsteht.

Wie man das anstellt, erklärt Stephan Waldscheidt in seinem Artikel „Realistische Romane schreiben“, aus dem obiges Zitat stammt.

 

Writers Write

Der Blog einer Schreibschule aus Südafrika liefert prägnante Tipps zum Schreiben, gewürzt mit Checklisten, Grafiken und immer viel Humor. Hier ein Auszug aus Mia Bothas Artikel zu der Frage, wie man Schauplatz, Handlung und Dialog geschickt verknüpft:

As I have mentioned, I prefer dialogue to narrative. So much so, I actually skip blocks of description when I read. This is obviously not ideal, but then again neither is my wine habit. And I’m not giving that up either. (…)

How do I include setting detail without inducing a coma with blocks of description? Remember, I love writing that shows. There are authors who excel at telling and who write brilliant, intoxicating descriptions. I don’t. I want stuff to happen. (…)

Consider this example:

“Why did you choose this place?” His nose is scrunched. His upper lip is pulled up at the corner. “It’s very dark in here.”
“You said you didn’t mind where we ate.” She sighs, closing her eyes for a moment.
“Well, I mind now.” He tries to move his chair, but it catches on the thick carpet. “How do they expect you to move your chair?” He tugs it again.
“Do you want to go somewhere else?”
“I’ll survive I suppose,” he says and flicks open the menu. “When in Rome,” he mumbles, “although I suppose Rome would find the association rather insulting.” (…)

Das ausführliche Beispiel findet ihr in Mia Bothas Blogbeitrag „How To Convey Setting In Dialogue – Without Sounding Like A B&B Brochure“.

 

Andreas Eschbach: Übers Schreiben

Andreas Eschbach schreibt natürlich vor allem Bestseller, aber bis 2007 hat er viele Artikel rund um den Schriftstelleralltag verfasst, die er auf seiner Website im Bereich „Übers Schreiben“ archiviert hat. Unterhaltsam, hilfreich und erfrischend desillusionierend:

Zum Thema Schreiben pflegte Georges Simenon zu sagen:

„Wenn Sie im Leben etwas anderes tun können als zu schreiben,
dann rate ich Ihnen: Tun Sie das.“

Dieser Teil meiner Website ist für all diejenigen gedacht,
die sich außerstande sehen, diesen weisen Rat zu befolgen.

Was finden Sie hier? Nicht das x-te Buch über das Handwerk des Schreibens, sondern schlicht und einfach eine Menge Fragen, die mir irgendwann in den vergangenen Jahren per Mail gestellt wurden, samt der Antworten, die ich darauf gegeben habe. Ich habe mich bemüht, das Ganze in Themenbereiche zu untergliedern, aber das kann und soll nicht darüber hinwegtäuschen, daß es hier so unsystematisch und widersprüchlich zugeht wie im richtigen Leben.

Klingt interessant? Stammt aus Andreas Eschachs gesammelten „Fragen und Antworten“, mit denen man sich wunderbar vom Schreiben ablenken zum Schreiben inspirieren lassen kann.

Was sind eure Lieblingsblogs für Buchautoren?

Was Bücherschreiber vom Brexit lernen können

Ich bin eine Träumerin. Jahrelang verfolgte ich mein Romanprojekt und nicht das Weltgeschehen. Dabei könnte gerade das Weltgeschehen jedes Romanprojekt weiterbringen. Bestseller dank Brexit – so geht’s:

Brexit Bestseller 05Die klare Botschaft bringt’s
„Jede Woche 350 Millionen Pfund mehr für das britische Gesundheitswesen!“ Mit solchen plakativen Versprechen kann man öde EU-Vorschriften, -Verflechtungen und ihre Folgen locker übergehen und dem Publikum helfen, sich schnell eine Meinung zu bilden. Wir alle brauchen  Orientierung in dieser faktenüberfrachteten Welt!

Komplikation für Politiker: Einzelne Nervensägen werden hinterher nachbohren, wie diese Versprechen nun umzusetzen seien. Aber als Buchautor? Nur los! „Wenn Mathilda ihren Greg kriegt, wird ihr Leben endlich gut!“ Ein paar Kapitel Spannung, dann: Sie kriegt ihn und alles wird gut. Das Buch ist zu Ende; spätere Details wie Ehekrisen, Kindergeschrei und Rentnerelend kümmern niemanden. Die Leser(innen) sind happy und kaufen dein nächstes Buch.

Brexit Bestseller 02Polarisieren mit Personen
Warum ist David Cameron gescheitert? Wie tickt Nigel Farage und was wird er erreichen? Wie wirkt sich der Brexit auf Leute aus, an denen mir liegt – meine englische Freundin, deren Urlaub gerade viel teurer geworden ist; meine deutsche Klassenkameradin, die seit Jahrzehnten in London arbeitet;  mich selbst und andere Nomaden, wenn in weiteren Ländern die Anti-Stimmung steigt? Ich brenne darauf, es zu erfahren!

Bis dahin schreibe ich weiter. Baue packende Protagonisten und aufregende Antagonisten auf, bringe sie in Schwierigkeiten, zwinge sie, ihr Leben zu hinterfragen. Damit die Leser mit (und vor) ihnen zittern, bis sie wissen, wie die Geschichte ausgeht.

Brexit Bestseller 04Initialzündung statt Infodump
Beitrittsverhandlungen der EU … Vorschriften und Verflechtungen … gähn. Das war bisher der Punkt in den Nachrichten, wo jeder Fernsehzuschauer zum Fußball überwechselte. Heute dagegen: Hilfe! Großbritannien tritt aus! Wie lauten die Vorschriften für so einen Fall? Wie eng sind wir überhaupt mit denen verflochten? Wird Schottland sich nun doch noch lossagen und der EU wieder beitreten? Superspannend, wollen wir wissen!

Was lernen Bücherschreiber vom Brexit? Langweile den Leser nicht mit Hintergründen. Dynastien, Gesetze und Wirtschaft deiner Romanwelt interessieren erstmal keinen. Beginne mit einem Knaller – der König wird ermordet, eine Mannschaft meutert, die Heldin entdeckt, dass sie adoptiert ist. Der Leser ist alarmiert und legt dein Buch nicht mehr aus der Hand. In der folgenden Handlung kannst du die Hintergründe einbauen, nicht als statische Beschreibung der Vergangenheit, sondern als heiß machende Hinweise auf künftige Entwicklungen.

Beflügelt der Brexit auch eure Fantasie?

Vier Ratgeber für Romanautoren

In den letzten Jahren haben sich in meinem Bücherregal eine ganze Reihe Schreibratgeber angesammelt. Manche sind ein wenig eingestaubt, andere ziehe ich dagegen immer wieder zu Rate oder nutze sie, um mich in finsteren Stunden vom Sinn des Autorendaseins zu überzeugen. Hier meine Favoriten für Romanautoren:

Louise Doughty:
Ein Roman in einem Jahr. Eine Anleitung in 52 Kapiteln
Eine wunderbare Hilfe, um sich dem Traum vom eigenen Buch anzunähern. Vielfältige Übungen regen an, sich eine Sammlung von Ideen zuzulegen und sie fast unmerklich zu einer Romanhandlung zu verdichten. Ich habe das Buch zweimal begeistert durchgelesen, vom Schreiben geträumt und mit Freundinnen übers Schreiben diskutiert. Erst beim dritten Mal habe ich die Übungen endlich gemacht – und das hat es wirklich gebracht: Viele davon sind zu Keimzellen meines eigenen Romans geworden.

„Schreiben Sie ein oder zwei Absätze aus der Sicht Ihrer Hauptfigur über ein Ereignis, bei dem sie sich den Daumen bricht. Nein, das müssen Sie nicht unbedingt in Ihren fertigen Roman einarbeiten – obwohl ich den Gedanken reizvoll finde, dass im zweiundzwanzigsten Jahrhundert Dissertationen über die seltsame Anhäufung gebrochener Daumen in der Literatur zu Anfang des neuen Jahrtausends diskutieren könnten. (…) Sie werden Dinge über [Ihre Hauptfigur] erfahren, die Sie bisher nicht gewusst haben …“

  • Louise Doughty, Ein Roman in einem Jahr. Eine Anleitung in 52 Kapiteln

Hans Peter Roentgen:
Vier Seiten für ein Halleluja. Ein Schreibratgeber der etwas anderen Art

Unterhaltsam und umbarmherzig: Roentgen durchleuchtet Texte auf ihre Schwachpunkte. Grausliche Texte, aber auch gute Texte: Sie alle können besser werden. Jedes Kapitel beginnt mit ein paar Seiten eines anderen Schreibanfängers, danach wird erklärt, welche Schwächen sich durch diesen Text ziehen und was man erreicht, wenn man sie gezielt ausbügelt.

„Streichen Sie alle Dialoge der Dackelgeschichte auf das Notwendigste zusammen. Prüfen Sie dann, welche Konflikte jetzt deutlicher werden. (…) Nehmen Sie sich dann einen Dialog aus einem Ihrer eigenen Texte vor. Überprüfen Sie diesen nach dem gleichen Muster. Überarbeiten Sie ihn. Legen Sie beide Versionen nebeneinander. Welcher ist besser?“

  • Hans Peter Roentgen, Vier Seiten für ein Halleluja. Ein Schreibratgeber der etwas anderen Art

Elizabeth George:
Wort für Wort oder Die Kunst, ein gutes Buch zu schreiben

Der Ratgeber für alle, die endlich in die Tiefe gehen wollen. Über 300 eng beschriebene Seiten geben erschöpfend Auskunft, von der Ideenfindung über die Recherche (sehr viel Recherche!) bis zur Ausarbeitung (sehr viel Arbeit!). Am Anfang erschlug mich die Fülle an Arbeitsschritten und Textauszügen, inzwischen habe ich aber immer wieder auf diesen Ratgeber zurückgegriffen, um mir zu konkreten Fragen fundierte Tipps zu holen. Sehr interessant finde ich auch die Schilderungen aus dem Arbeitsalltag der Bestsellerautorin, gerade weil auch sie noch bei jedem Buch mit Selbstzweifeln kämpft.

„Ich nähere mich dem Ende der Neufassung und bekomme langsam Angst. Der Juli scheint so nah. Ich habe … das Gefühl, als bekäme ich die Geschichte nicht richtig in den Griff … Ich werde daran denken, dass ich immer Angst gehabt habe und mich durch diese Angst hindurch und an ihr vorbei gearbeitet und den Mut nicht verloren habe.“

  • Elizabeth George: Wort für Wort oder Die Kunst, ein gutes Buch zu schreiben

Stephan Waldscheidt:
Schreibcamp – Die 28-Tage-Fitness für Ihren Roman

Jetzt wird es wieder kurz und knackig – genau so, wie es die müde Autorin braucht, wenn sie auf dem Schlauch steht und den Überblick verloren hat, woran ihr Buchprojekt kränkelt. In 28 pointierten Kapiteln gibt Stephan Waldscheidt Tipps, nach welchen Kriterien man seine Geschichte durchleuchten sollte, um sie noch spannender, anschaulicher und runder zu machen. Mehr Konflikt, mehr Gefühle, mehr Spannung lassen sich mit seinen plastischen Anregungen nachträglich ins Buch zaubern oder auch von vornherein einbauen.

„Sie lieben die Charaktere Ihres Romans? Ach, Liebe wird unterschätzt.
Sie sind auch nicht der Anwalt Ihrer Charaktere. Sie sind Ihr Strafgericht.“

  • Stephan Waldscheidt: Schreibcamp – Die 28-Tage-Fitness für Ihren Roman

Neben diesen meinen Lieblingsbüchern nutze ich auch einige Webseiten und Newsletter für Autoren immer wieder – dazu mehr in einem späteren Beitrag.

Welche Schreibratgeber würdet ihr empfehlen?

Update: In einem späteren Beitrag habe ich zunächst die aus meiner Sicht besten Blogs für Buchautoren vorgestellt.

Erinnerungen eines Goldfisches

Goldfisch

Worum sich seine Gedanken wohl drehen?

„Ungewohnte Perspektive. Fesselndes Setting. Ein packender Konflikt und ein überraschendes Ende … Carmen Wedeland nimmt den Leser mitten hinein in eine Welt, die ihn schon nach Sekunden ratlos zurücklässt. War das ein Roman, eine Kurzgeschichte, ein Drama oder Lyrik? Und was sollte das alles jetzt?“

Ich serviere heute mal etwas aus der Konserve, pardon: aus dem Glas. Es ist schließlich Frühling, draußen schlägt die Nachtigall, ich habe anderes zu tun, als lange Texte zu produzieren (die obige Rezension hat mich schon Minuten gekostet). Auch ihr habt anderes zu tun – zum Glück braucht ihr nur ein paar Sekunden, um mein rätselhaftes Werk zu lesen. So lang dauern die folgenden Memoiren.

 

Erinnerungen eines Goldfisches

Wer ein paar Sekunden mehr hat, findet hier noch einen Kurzkrimi 🙂

30 Tage für meinen Roman

Ich habe gewonnen!

National Novel Writing Month Winner 2015

Ich habe die Herausforderung des National Novel Writing Month angenommen und diesen November 50.000 Roman-Wörter geschrieben. Das entspricht etwa 170 Buch-Normseiten.

Wow, Carmen hat in 30 Tagen einen Roman geschrieben?
Nuuuun … nein.
Ein richtiger Roman hat eher so 100.000 bis 150.000 Wörter, ein Fantasy-Epos gerne auch mehr. Mit 50.000 Wörtern hat man allenfalls ein Kinderbuch oder eine Novelle fertig.

In diesem Wettbewerb geht es darum, 30 Tage an seinem Roman zu schreiben. Nicht unbedingt, ihn abzuschließen – und vor allem nicht so, dass er druckreif wäre. Das ist für Normalsterbliche kaum möglich. Es geht darum, einen Entwurf von mindestens 50.000 Wörtern zu produzieren, und zwar so schnell wie möglich.

Den inneren Kritiker abschalten, nicht mehr grübeln, nicht mehr aufschieben, nicht weitere Details recherchieren und Plot-Alternativen prüfen. Optimiert wird später, wenn der erste Entwurf fertig ist, wenn man weiß, worauf alles hinausläuft, was funktionieren wird und wo noch Lücken gähnen. Jetzt hieß die Aufgabe: Sich einfach auf den Hosenboden setzen und schreiben! Im Durchschnitt 1.667 Wörter am Tag. Dafür brauchte ich am ersten Tag vier Stunden, in der letzten Woche teils nur 40 Minuten.

Was ist daran so schwer?
Im Nachhinein frage ich mich das auch. Ich hatte alle Voraussetzungen, um schnell weiterzukommen – eine detaillierte Fantasy-Welt, spannende Figuren, drei Meter Handlungsplan … Doch noch mehr hatte ich Ausreden: Alles nicht gut genug, keine Zeit wegen Sommerjob, keine Zeit wegen Besuch … irgendetwas fällt einem immer ein und schon ist wieder eine Woche herum und man hat vergessen, worum es in dem Buch eigentlich gehen sollte. Die große Romanverhinderungsstimme flüstert Tag und Nacht:

  • Lieber noch ein bisschen warten, bis ich wirklich die Zeit habe, mich ausgiebig in die Geschichte zu vertiefen.
  • Wenn ich erstmal schreibe, dann soll es auch wirklich gut werden, schließlich habe ich schon so lange daran herumgeplant, der nächste Schritt muss ein druckreifer Text sein.
  • Und sowieso wartet die Welt nicht auf dieses Buch und ich bin allein hier vor diesem Bildschirm und alles ist furchtbar, also lieber schnell auf Facebook oder raus und sich ablenken.

Der National Novel Writing Month hat all das geändert. Wenn man auf der Website einen Account anlegt, bekommt man jede Menge nützliche Tools, die genau diese Probleme angehen:

  • Ein unbarmherziges Balkendiagramm zeigt den täglichen Fortschritt und was passiert, wenn man nur einen oder zwei Tage sein Soll nicht erfüllt.
  • Wenn man aber wieder etwas geschafft hat, gibt es Belohnungen: dafür, dass man überhaupt anfängt; für die ersten 1667 Wörter; dann wieder für 5000, 10.000 …; wenn man zehn Tage am Stück geschrieben hat, wenn man an einem Schreibtreffen teilgenommen hat oder beim Schreiben zuviel Kaffee trinkt 🙂
  • Ermutigende E-Mails, „Pep Talks“ und der Austausch im Forum hämmern einem ein, dass man einfach drauflosschreiben soll, überarbeitet wird später. Am hilfreichsten fand ich die „Word Wars“ – Wettschreiben gegen die Zeit: Man verabredet mit anderen im Forum, dass man beispielsweise von 20 bis 20.30 Uhr schreiben wird, und postet anschließend, wie viele Wörter man geschafft hat. Es gibt nichts zu gewinnen und niemand schimpft, wenn man nicht in die Pötte kommt – aber dieses ganz einfache Mittel hat bei mir bewirkt, dass ich die 30 Minuten konzentriert sitzen blieb, nur auf mein Dokument sah und in die Tasten haute. Und im Schnitt ca. 1000 Wörter produzierte, an denen ich sonst vielleicht zwei Stunden herumgetüftelt hätte. Das Beste daran: In dieser halben Stunde übernahmen oft meine Figuren völlig die Regie. Meine Hauptfigur fand einen unterirdischen Gang, den ich selber noch nicht kannte und super spannend finde. Mein Antagonist hat mir mit der Weinflasche eins übergezogen und mir endgültig klargemacht, dass ich auch aus seiner Perspektive schreiben muss. Und und und. Manches davon muss ich am Ende vielleicht wieder streichen – aber ich glaube, dass ich allein durch das Ausschalten meines grübelnden Gehirns mehr Kreativität freisetzen konnte als sonst.
  • Für diese Wettschreiben ist eigentlich zu jeder Tages- und Nachtzeit jemand im Forum zu haben. Auch für jede Frage, jede Sorge und jede Anekdote, die man mit anderen Schreibern teilen möchte. Weltweit haben Hunderttausende Autoren am „NaNo“ teilgenommen, allein im kleinen Dänemark waren es über 2000. In finsteren Momenten, wo man am Sinn des Ganzen zweifelt, ist es schön zu wissen, dass andere ähnlich spinnerte Projekte verfolgen und vielleicht genau das Problem gerade bewältigt haben, vor dem man momentan steht.

Man könnte natürlich schummeln – seinen Fortschritt muss man selber eintragen und niemand prüft am Ende, ob die 50.000 Wörter wirklich dein eigener, selbst geschriebener, lesbarer Roman sind. Aber damit betrügt man ja nur sich selbst!

National Novel Writing Month Winner

Ich finde, ich habe wirklich gewonnen:

  • Nach mehreren Monaten voller kreativer Vermeidungsstrategien fiebere ich jetzt danach, das Ding zu Ende zu schreiben und die letzten Lücken zu füllen.
  • Ich habe erkannt, dass Schreiben schnell gehen kann und dass man dafür nicht unbedingt eine jahrelange Auszeit braucht. (Ganz nebenbei bemerkt, habe ich im November wieder angefangen, als freie Texterin zu arbeiten, und gleich einen größeren Auftrag gestemmt, so dass die meisten Romanworte erst abends ab neun entstanden!)

Nano 2015 Ein Drittel Plot geschafft

Also: Genug Pause gemacht – jetzt heißt es: Weiterschreiben! Denn trotz der 50.000 Wörter – und weiteren 20.000, die ich vor November schon hatte – bin ich grad mal im Mittelteil meines Drei-Meter-Handlungsplans angekommen …

Nano Now What Months

 

Und wenn die Geschichte zu Ende geschrieben ist?
Dann geht die Arbeit erst richtig los: Denn nach dem Schreiben ist vor dem Überarbeiten!

Vielleicht seid ihr 2016 auch dabei? Vor dem nächsten „NaNo“ im November gibt es im April und Juli jeweils ein „Camp NaNo„, wo man sich selbst einfachere Ziele setzen kann, z. B. ein paar Kurzgeschichten mit zusammen 10.000 Wörtern zu schreiben. Macht Spaß, bringt viel und kostet nix! Ich will es auf jeden Fall wieder probieren.

Update, 26.10.16: Der nächste NaNo naht und ich mache wieder mit.

Was Schriftsteller von Schneidermeistern lernen können

Ich stehe hier stolz wie Oskar in meinem ersten selbst gefertigen Kleidungsstück. Sieht aus wie eine Daunenweste, ist aber aus Recyclingmaterial: Reste von IKEA-Bettüberwürfen, -Kissenhüllen und den dazugehörigen Stoffsäckchen wollten zu neuem Leben erweckt werden. Nebenbei passt das Outfit perfekt zu meinem Sofa, genau wie meine Laptophülle und meine Wärmeflaschentasche.

Die Weste war mein Projekt für einen Nähkurs, den ich gerade abgeschlossen habe. Hier auf Møn gibt es eine sehr gute Schneidermeisterin, Charlotte Wiegand, die in ihrem Kursuscenter Emilielunden Anfänger und Fortgeschrittene unterrichtet. Mein Kurs bestand aus einer unerfahrenen Mittvierzigerin – mir – und einem munteren Trupp älterer Damen, die in meinen Augen unglaublich professionelle Dinge fabrizierten und mir blutiger Anfängerin erstmal zeigen mussten, wie man die Stoffschere richtig hält. Egal, ich lerne und es macht Spaß!

Natürlich wollte ich mich mit dieser kreativen Betätigung vor allem auch vom Romanschreiben ablenken, aber wie schon bei meinem Sommerjob als Rezeptionistin, musste ich feststellen, dass man auch beim Nähen vieles lernt, das einem beim Schreiben zugute kommen kann.

Geduld für gründliche Vorarbeit

Überlegen, was du nähen willst, warum dir das Teil gefallen würde, ob es einen besonderen Stoff braucht oder durch einen ausgefallenen Kragen besticht. Passende Stoffe und Fäden beschaffen, vielleicht auch noch Futter, Schrägband und Reißverschlüsse. Deine eigenen Maße nehmen, am besten mit sachkundiger Hilfe. Ausgangs-Schnittmuster an deine tatsächlichen Maße anpassen. Zusammenkleben, anprobieren, justieren, dann erst im Stoff ausschneiden und nochmal zusammenstecken, anprobieren, justieren! Das alles dauert Stunden und du hast noch keinen einzigen Stich genäht!

Beim Schreiben gut überlegen, was deine Botschaft sein soll, was das Spannende an der Geschichte ist und in welcher Form sie sich darstellen lässt. Dann Material sammeln, recherchieren, ordnen, Schauplatz und Charaktere anlegen. Dann Handlung planen, überlegen, ob sie alle Inhalte wiedergibt, probieren, ob er für den unbeteiligten Leser verständlich wäre, Löcher ausbessern! Das alles dauert Wochen und du hast noch kein einziges Wort geschrieben!

Der gute Zuschnitt ist wichtig

Jeder Zentimeter zuviel oder zuwenig kann sich rächen, weil nachher das Kleidungsstück an den unmöglichsten Stellen zwickt oder Falten wirft. Egal wie toll der Stoff und wie mühsam das Nähen, du wirst es ganz hinten im Kleiderschrank verstecken.

Überleg dir genauso gut, wie viele Figuren du in dein Buch zwängst, wie viel Weltenbeschreibung du unterbringst und wie du den Spannungsbogen aufbaust. Es wäre doch schade, wenn der Leser überfordert ist oder sich langweilt – und dein Buch ganz hinten im Regal versteckt.

Noch mehr Geduld für saubere Ausführung

Wieder auftrennen, wenn eine Naht nicht ordentlich sitzt. Alles von vorn, wenn du ein Stück Stoff aus Versehen falschrum angenäht hast. Eine Woche warten, bis der Faden nachgeliefert wird, der dir ausgegangen ist. Wirklich sorgfältig an Details arbeiten, wie Schrägband und Reißverschluss. Von der Ferne sieht man das nicht alles, aber wenn du das Kleidungsstück am Leib trägst, wirst du dich ewig ärgern, wenn mittendrin Fäden rausstehen, Muster schief laufen oder du vergessen hast, einen Aufhänger einzunähen, bevor du den Kragen befestigt hast.

In diesem Sinne: Texte gut formulieren, schöner Sprachrhythmus, keine Klischees oder Sachen, die nicht in die Zeit oder Welt passen. Stimmige Überschriften, nachvollziehbare Entwicklungen, keine Tippfehler. Der begeisterte Leser wird vielleicht nach sieben Kapiteln die eine oder andere Scharte gnädig übersehen. Aber es wird dich selbst stören, wenn du es mit einmal mehr Zurücktreten und Drüberschauen leicht hättest optimieren können.

Habt ihr ein Hobby, das euch beim Schreiben oder bei eurer Arbeit weitergeholfen hat?